ZUR
PERSON
Johann Kresnik (*1939) gehört seit Jahrzehnten zu den
wichtigsten Regisseuren an der Schnittstelle von Schauspiel und
Tanztheater. Sein Stil eines „choreografischen Theaters“
provoziert und sprengt den Rahmen traditioneller Inszenierung.
Spätestens als Teile eines rohen Hähnchens an der Premieren-Kleidung klebte, hätte der Beobachter zumindest eine scheue Reaktion aus dem Publikum erwartet. Nichts da. Alles starrte gebannt auf diesen gestählten Körper, der da durch die Innereien der Wuppertaler Oper hastete und Antworten in seinem Irrsinn suchte.
„Diese Nacht soll nie enden.“ So hatte es eigentlich im Kronleuchterfoyer begonnen. Hier wird der designierte neue Intendant Thomas Braus im Rollstuhl hereingerollt, gehüllt in Papierstreifen, blind, nur die Amigos säuseln weiter, „Ohne dich bin ich verloren“. Sitzen, stehen oder herumlaufen, das Publikum scheint am Eingang zur Hölle auch irgendwie verloren. Theater in der Wuppertaler Oper mal anders, und Johann Kresnik inszeniert. Wenn das die Aussichten sind, wie die Stadt ihr Theater sanieren will, dann dürfte man sich freuen, nur allein mir fehlt der Glaube und der noch amtierenden Intendantin schien es ähnlich zu gehen. Und zur Hölle geht es – frei nach Dante Alighieri – zu den oberen Rängen, aber noch rutscht Thomas Braus auf dem Handlauf herum, klebt sich Portraits auf die Stirn, zerfetzt das Papier, neun Kreise werden es werden in Einundeinerviertelstunde, ranhalten, hoch die Treppe, immer hinter dem Astralkörper her, der sich fluchend suchend den Weg bahnt, der den Zuschauern beängstigend nahe kommt, eine Reise ins Innere der Seele, ins Innere der Architektur, des Betriebes, der Strukturen und des Wesens eines Theaterbetriebes. Das Inferno ist der Glutstrahl, auf dem das nackte Menschlein pathetisch vorwärts treibt, dabei die Dichter Vergil und Dante um Hilfe fleht, hier einen Spiegel stemmt, dort etwas zerschmettert. Kresnik hat nach starken Bildern im Innern des Gebäudes gesucht, nach Räumen, nach Bühnen, die seinem Protagonisten standhalten können.
ZUR
PERSON
Johann Kresnik (*1939) gehört seit Jahrzehnten zu den
wichtigsten Regisseuren an der Schnittstelle von Schauspiel und
Tanztheater. Sein Stil eines „choreografischen Theaters“
provoziert und sprengt den Rahmen traditioneller Inszenierung.
Immer höher schraubt sich der in die Höllenkreise, immer höher in die geheimen Gänge. Immer höher schraubt sich auch der Geist. Braus hat die Fassung des Infernos selbst erarbeitet, deutlich gekürzt, das Irre in eine Art Glaskugel verpackt, die er nach Belieben schütteln kann und dosiert oder brachial ins Publikum schleudert. Mal hängt er einfach da, mal steckt er hinter Türen, der freie Oberkörper mit Blut, Schlamm und Staub beschmiert, drängt er seine Beobachter zurück und wieder weiter, mit geschwärztem Gesicht, mit Eimern voller Wasser durch den Staat der Leiden, des ewigen Schmerzes. Da hilft kein Dichterfürst mehr und auch kein herumliegendes Schmocktuch: Diese Pein wäscht nichts mehr ab. Kresnik untermalt mit Industrial Sounds. Als ob die Neubauten in das Opernhaus von 1905 grüßen. Und dann ist der Leidende weg. Draußen auf dem Dach, in der Ferne grüßt die Schwebebahn, er spricht durch das winzige Notfenster, der Wind verweht seine Worte, bevor er einem schwarzen Schleier folgt.
Brav folgt die Schulklasse Zuschauer, näher kommt man einem so guten Schauspieler eigentlich nie. Ein rotes Kleid im Dritten Kreis. Zu Fahrstuhlmusik, die Erde stinkt, das Hähnchen spritzt. Vergil erscheint als schnöde Puppe, „Lass dich nicht vom Zorn besiegen“, die Türen schlagen am Kreuzweg mit Sargdeckel. Hier erfährt niemand etwas über sich. Die Dauerperformance hat ihren letzten Ort erreicht, den nur wenige „Sterbliche“ je sahen. Im Kronenboden erfüllt sich das Schicksal. Hier, wo Braus jeden Augenblick in die Tiefe stürzen kann, zehn, fünfzehn Meter hinab in den Zuschauerraum, hier, wo auch die Beobachter nicht den vorgeschriebenen Weg verlassen sollten, hier soll ein Ende gemacht werden. Dante an der Spitze. Glotzt nicht so. Dunkelheit umfängt die Schar, obwohl hier riesige Scheinwerfer ruhen. Der aus dem Wald seines Lebens Entkommene sieht nun weit, weit entfernte Sterne und doch geben sie einen kleinen Löffel Hoffnung. Aber es sieht nicht so aus, als sollte hier der Läuterungsberg erklommen sein. Der Erzähler jedenfalls ist außer sich, erschöpft, beschmiert, kann sich doch der Huldigung sicher sein, würdig für die absurden Bilder, die genauso gut auch in der Welt hinter dem Spiegel bestehen könnten.
„Die Hölle/Inferno“ | R: Johann Kresnik | Mi 1.2., Mi 1.3. 21 Uhr | Opernhaus unterm Dach, Wuppertal | 0202 563 76 66
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