Es beginnt eindrucksvoll. Der Werküberblick der fotografischen Bilder von Thomas Wrede startet mit dem Frühesten. Von ihrer verstörenden Eindringlichkeit haben seine Fotografien der 1990er Jahre bis heute nichts eingebüßt. In s/w aufgenommen, führen sie die Helligkeit einzelner Partien mit den Mitteln des Lichts bis ins Weiß. Mit transparenter Folie umwickelte Wurzeln erinnern an eingeschnürte Torsi: als Gleichnisse für den Umgang des Menschen mit der Natur. Dies setzt sich in der Serie „Samsø“ fort, bei der Folienrollen mit ihren Fetzen aus der Erde einer kargen Landschaft herausragen, wobei sich eine Endzeitstimmung abzeichnet. In ihrer Wirkung Radierungen vergleichbar, treffen eine genau fokussierte Sachlichkeit und der Surrealismus des Mysteriösen zusammen. Bereits hier betont der 1963 geborene Thomas Wrede, der zunächst Malerei studierte, ehe er bei Dieter Appelt in Fotografie geschult wurde, die Rolle der fotografischen Mittel für den Umgang mit der Realität.
Im zweiten, wohl besten Raum der Ausstellung ist die Dramatik ins Theatralische gesteigert. Die beiden Serien, mit denen Thomas Wrede Bekanntheit erlangt hat, hängen sich gegenüber. Bei „Die Vögel stehen in der Luft und schreien“ taucht Gefieder wie ein Blitz im Dunkel auf. Es handelt sich um den feinen, eigentlich kaum erkennbaren Abdruck von Vögeln beim Aufprall auf Glasscheiben, also zwischen Anwesenheit und Abwesenheit und im Übergang vom Leben zum Tod. In der Von der Heydt-Kunsthalle kehrt das Einfrieren des plötzlichen, entscheidenden Moments in den „Magic Feelings“ wieder. Im engen Ausschnitt, noch dazu kleinformatig, sind Gesichter zu sehen, deren Ausdruck ekstatisch wirkt. Tatsächlich wurden die Gesichter während der Sturzfahrt auf der Achterbahn aufgenommen. Was Thomas Wrede zeigt, ist das Dokumentarische in dem Moment, in dem es entgleitet und die Erzählung einsetzt.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wendet sich Thomas Wrede ganz der Farbfotografie zu. Und während die frühen Fotografien die Vereinzelung, die Zentrierung und auch die Darstellung von Leere demonstrieren, beschreiben die Farbfotografien überwiegend Fülle und führen die Szenerie dabei ins Künstliche. In der Ausstellung zeigen dies Wredes Fotografien der menschenleeren Kulissen in Vergnügungsparks, die wie eine Miniaturwelt aus Kunststoff wirken. Hingegen könnten die als All-Over aufgenommenen Fototapeten im privaten Wohnhaus an die freie Natur erinnern, wenn nicht vor ihnen, auf der Bildfläche erst allmählich erkennbar, das Mobiliar platziert wäre. Die Idee einer reproduzierten Natur kennzeichnet auch Wredes Aufnahmen monumentaler Plakate an Hochhausfassaden, die für Hollywood-Filme werben. Auch bei ihnen hinterfragt er Klischees und die Konstruiertheit ihrer Illusionen.
Umso überraschender wirken in der Von der Heydt-Kunsthalle die „Seascapes“ der frühen 2000er Jahre, die Thorsten Sadowsky im Katalog als „Pastoralen des Strandes und des Horizontes“ bezeichnet. Am Strand befinden sich, von Wasser umspült, einzelne Passanten. Ihr Herumstehen und ihr Laufen in verschiedene Richtungen hat etwas Absurdes. Im Panorama in diesiger Atmosphäre ist die Verlassenheit der Szenerie betont. Das aber verbindet diese Aufnahmen wieder mit der ganz aktuellen Werkgruppe (die wir schon von der Ausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck kennen), für die Wrede Miniaturhäuser, -autos, -bäume aus dem Modellbau in der realen Natur positioniert und so fotografiert hat, als wären sie real, also in Menschengröße. Der Trick ist diesmal, dass er gar nicht vertuscht, dass es sich hier um Künstlichkeit handelt, ja, die Indizien mitliefert: Man muss sie eben zu lesen wissen. Teilweise ist das arg forciert, und doch zeigt Thomas Wrede nicht mehr und nicht weniger als Gleichnisse für die Zivilisation und die heutige Rolle der Natur dabei und wie sehr unser Wahrnehmen von oberflächlichen Attraktionen beeinflusst wird. Dass er dazu die Kompetenz des Mediums Fotografie hinterfragt, umso besser.
Thomas Wrede – Sceneries | bis 26.8. | Von der Heydt-Kunsthalle Barmen | 0202 563 65 71
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