Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.585 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Illusion im Bild

26. Juli 2018

Thomas Wrede mit einer Werkschau in der Von der Heydt-Kunsthalle in Barmen – kunst & gut 08/18

Es beginnt eindrucksvoll. Der Werküberblick der fotografischen Bilder von Thomas Wrede startet mit dem Frühesten. Von ihrer verstörenden Eindringlichkeit haben seine Fotografien der 1990er Jahre bis heute nichts eingebüßt. In s/w aufgenommen, führen sie die Helligkeit einzelner Partien mit den Mitteln des Lichts bis ins Weiß. Mit transparenter Folie umwickelte Wurzeln erinnern an eingeschnürte Torsi: als Gleichnisse für den Umgang des Menschen mit der Natur. Dies setzt sich in der Serie „Samsø“ fort, bei der Folienrollen mit ihren Fetzen aus der Erde einer kargen Landschaft herausragen, wobei sich eine Endzeitstimmung abzeichnet. In ihrer Wirkung Radierungen vergleichbar, treffen eine genau fokussierte Sachlichkeit und der Surrealismus des Mysteriösen zusammen. Bereits hier betont der 1963 geborene Thomas Wrede, der zunächst Malerei studierte, ehe er bei Dieter Appelt in Fotografie geschult wurde, die Rolle der fotografischen Mittel für den Umgang mit der Realität.

Im zweiten, wohl besten Raum der Ausstellung ist die Dramatik ins Theatralische gesteigert. Die beiden Serien, mit denen Thomas Wrede Bekanntheit erlangt hat, hängen sich gegenüber. Bei „Die Vögel stehen in der Luft und schreien“ taucht Gefieder wie ein Blitz im Dunkel auf. Es handelt sich um den feinen, eigentlich kaum erkennbaren Abdruck von Vögeln beim Aufprall auf Glasscheiben, also zwischen Anwesenheit und Abwesenheit und im Übergang vom Leben zum Tod. In der Von der Heydt-Kunsthalle kehrt das Einfrieren des plötzlichen, entscheidenden Moments in den „Magic Feelings“ wieder. Im engen Ausschnitt, noch dazu kleinformatig, sind Gesichter zu sehen, deren Ausdruck ekstatisch wirkt. Tatsächlich wurden die Gesichter während der Sturzfahrt auf der Achterbahn aufgenommen. Was Thomas Wrede zeigt, ist das Dokumentarische in dem Moment, in dem es entgleitet und die Erzählung einsetzt.

Anna Storm
Foto: Privat
DIE KURATORIN
Kunsthistorikerin Anna Storm vom VDH-Museum: „Mich interessiert an Thomas Wrede speziell sein Umgang mit dem Medium selbst, also eine Form von Reflexivität, sowie das feine Changieren zwischen Inszenierung und Natürlichkeit, Konstruktion und Realität.“

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wendet sich Thomas Wrede ganz der Farbfotografie zu. Und während die frühen Fotografien die Vereinzelung, die Zentrierung und auch die Darstellung von Leere demonstrieren, beschreiben die Farbfotografien überwiegend Fülle und führen die Szenerie dabei ins Künstliche. In der Ausstellung zeigen dies Wredes Fotografien der menschenleeren Kulissen in Vergnügungsparks, die wie eine Miniaturwelt aus Kunststoff wirken. Hingegen könnten die als All-Over aufgenommenen Fototapeten im privaten Wohnhaus an die freie Natur erinnern, wenn nicht vor ihnen, auf der Bildfläche erst allmählich erkennbar, das Mobiliar platziert wäre. Die Idee einer reproduzierten Natur kennzeichnet auch Wredes Aufnahmen monumentaler Plakate an Hochhausfassaden, die für Hollywood-Filme werben. Auch bei ihnen hinterfragt er Klischees und die Konstruiertheit ihrer Illusionen.

Umso überraschender wirken in der Von der Heydt-Kunsthalle die „Seascapes“ der frühen 2000er Jahre, die Thorsten Sadowsky im Katalog als „Pastoralen des Strandes und des Horizontes“ bezeichnet. Am Strand befinden sich, von Wasser umspült, einzelne Passanten. Ihr Herumstehen und ihr Laufen in verschiedene Richtungen hat etwas Absurdes. Im Panorama in diesiger Atmosphäre ist die Verlassenheit der Szenerie betont. Das aber verbindet diese Aufnahmen wieder mit der ganz aktuellen Werkgruppe (die wir schon von der Ausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck kennen), für die Wrede Miniaturhäuser, -autos, -bäume aus dem Modellbau in der realen Natur positioniert und so fotografiert hat, als wären sie real, also in Menschengröße. Der Trick ist diesmal, dass er gar nicht vertuscht, dass es sich hier um Künstlichkeit handelt, ja, die Indizien mitliefert: Man muss sie eben zu lesen wissen. Teilweise ist das arg forciert, und doch zeigt Thomas Wrede nicht mehr und nicht weniger als Gleichnisse für die Zivilisation und die heutige Rolle der Natur dabei und wie sehr unser Wahrnehmen von oberflächlichen Attraktionen beeinflusst wird. Dass er dazu die Kompetenz des Mediums Fotografie hinterfragt, umso besser.

Thomas Wrede – Sceneries | bis 26.8. | Von der Heydt-Kunsthalle Barmen | 0202 563 65 71

Thomas Hirsch

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Schnittige Raumkonzepte
Lucio Fontana im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/24

Schlüsselgestalt der Avantgarde
Lucio Fontana im von der Heydt Museum

„Es geht bei ihm ja immer um Löcher und Schnitte“
Direktor Roland Mönig über „Lucio Fontana: Erwartung“ im Von der Heydt-Museum – Sammlung 10/24

Blick auf die Wände
Schaudepot für die Gemälde im Vdh-Museum

Nicht nichts
100 Jahre Abstraktion im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – kunst & gut 06/24

Mit fremden Federn
Lothar Baumgarten im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 05/24

„Er hat sehr feinsinnige Arbeiten erschaffen“
Kunsthistorikerin Anna Storm über die Ausstellung zu Lothar Baumgarten im VdH-Museum – Interview 03/24

Unergründliche Dingwelt
Erinna König im Wuppertaler Von der Heydt-Museum – kunst & gut 01/24

„Abstrakte Kunst ist keine Reproduktion der Wirklichkeit“
Kuratorin Beate Eickhoff über „Nicht viel zu sehen“ im VdH-Museum – Interview 01/24

Großmeister im Dialog
Picasso und Beckmann im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/23

„Picasso und Beckmann standen im Zentrum der Debatte über Malerei“
Direktor Roland Mönig über die neue Ausstellung im Von der Heydt-Museum – Sammlung 09/23

Bella Figura
„Figur!“ im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 07/23

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!