Ganz in Schwarz-Weiß. Eine beunruhigende, vereinnahmende Ausstellung, in dieser Wirkung unterstützt durch die Hängung in Blöcken, noch dazu auf grau gestrichenen Wänden bei gedimmtem Licht. Gleichzeitig laufen Filme mit Sound. „Kaltes Licht“ hat sich der Fotograf und Videokünstler Roger Ballen für seine Ausstellung in Barmen gewünscht. Seine fotografischen und filmischen Bilder sind sachlich und expressiv. Jedes von ihnen kennzeichnet eine enorme Intensität, was auch an den Schwarzwerten liegt. Das quadratische Mittelformat verstärkt in seiner Ausgewogenheit den Sog in das Bildgeschehen. Und es trägt zum lakonischen Bildaufbau bei, mit seiner Zentrierung einzelner Menschen meist vor kargen Wänden. Vor allem aber liegt die Intensität an den Akteuren selbst.
Kann es zudem sein, dass Roger Ballens Darstellungen angstbesetzt sind, dass sie an Aussätzigkeit, Versteck und an Voodoo erinnern? Ballen findet seine Akteure zumeist in der weißen Unterschicht in Südafrika, die am Rande der Unterdrückung lebt, arm ist und sich in ihre eigenen dörflichen Ghettos zurückgezogen hat. Er porträtiert diese Menschen, indem er sie bevorzugt in ihrer Wohnung inszeniert und in engen Raumausschnitten, aber doch gelöster Atmosphäre zeigt. Neben die offensichtliche Armut und die Privatheit treten die aus unserer Perspektive körperlichen Abnormitäten: die erschreckenden Segelohren der Zwillingsjungen, von denen wir vermuten, dass sie geistig behindert sind. Bei anderen Personen die verwachsenen Zähne und die verdrehten Augen. Dann wieder hält ein Mann ein Hausschwein im Arm, als wäre es das einzige Lebewesen, mit dem er kommuniziert. Indem die Menschen uns so direkt – ungeschützt – gegenübertreten und uns sogar anblicken, werden wir uns unserer Rolle als Voyeure bewusst.
Es überrascht nicht wirklich, dass der Fotograf dieser Bilder studierter Psychologe ist. Roger Ballen wurde 1950 in New York City geboren. Über seine Mutter, die eine Fotogalerie in New York leitete, kommt er frühzeitig mit der Fotografie als Kunstform in Berührung. Ab 1974 hält er sich zunächst für eineinhalb Jahre in Südafrika auf. Der Kontakt mit den Buren aber wird für ihn zur Initialzündung. Er porträtiert sie voller Respekt und ohne Berührungsängste. Und Ballen kehrt über die Jahre wieder zurück, an die gleichen Orte und zu denselben Personen, die nun auch ihn kennen. Er blickt auf das Private und Periphere, die Einrichtung der Zimmer, die Haustiere. Er nimmt Kinder ebenso wie Pensionäre auf, in verhärmten Gesichtern scheint Zärtlichkeit auf, oder kommt einem dies angesichts des winzigen Hündchens in den Händen nur so vor, oder deutet sich nicht im Gegenteil eine bevorstehende Grausamkeit an?
In späteren Werkgruppen wendet sich Roger Ballen dann weiter den Tieren zu, besonders Vögeln, die von ihm symbolisch verstanden sind und uns weiter in dunkle Tiefen und Schächte ziehen. Etwas düster Lastendes tritt in den Vordergrund. Anschließend stellt er den menschlichen Körper in seiner Krümmung oder halb verbogen als Fragment dar. Der fotografische Blick fällt nun erst recht auf die Wand, auf der sich Zeichnungen besonders von Kopfformen befinden, die an Höhlenzeichnungen und Art Brut erinnern. Ganz aktuell sind die Aufnahmen, welche die Zeichen mit Licht malen: Nun wird alles unklar, vielleicht als Transzendierung der Abgründe des menschlichen Lebens, die hier bis ins Okkulte reichen.
Die Konsequenz, die Ballens fotografisches Werk kennzeichnet, liegt auch seinem Video zu einem Song der Band „Die Antwoord“ zugrunde. Das Obszöne wird hier, schweißtreibend, als stolzes Aufbegehren vermittelt. Auch dieses Video war bereits in der schicken Galerie Karsten Greve in Köln zu sehen. Aber erst in der Von der Heydt-Kunsthalle entwickeln Ballens Bilder eine Wucht, die dem Betrachter die Luft zum Atmen nimmt: Eindrucksvoll!
Roger Ballen – Fotografie und Film 1969-2015 | bis 7.8. | Von der Heydt-Kunsthalle, Barmen | 0202 563 65 71
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