Der Raum macht es – auch bei dieser Ausstellung – möglich. Der Düsseldorfer Bildhauer Martin Schwenk hat lediglich ein Werk in den Neuen Kunstverein eingefügt, aber das hat es in sich. Über dem Boden breitet sich ein beige-braunes Feld organischer, sanft gewölbter, mitunter gebrochener Formen aus, rundum umfasst von einem leichten Schatten. Horizontale und vertikale Schnitte teilen die volumenhaft aufgeworfene Fläche, die dadurch in die Tiefe hin auseinandergerückt ist und so einen rasanten Sog entwickelt. Das Feld selbst wächst sozusagen aus der Wand heraus in den Raum hinein, so dass man um die Säule herum gehen muss, um es von der anderen Seite zu sehen. Dann aber sieht man weitere Details; faszinierend ist erst recht die Übersicht von der Theke aus. In der Länge des Raumes wirkt die Arbeit riesig, zugleich bewahrt sie ein angenehmes Verhältnis zur menschlichen Gestalt.
Alle Assoziationen – zu einem gebackenen Teig, zur Haut eines Reptils oder einem Ausschnitt der Landschaft, etwa eine Steinwüste, nachdem die Flut abgezogen oder der Schnee geschmolzen ist – bleiben offen. Teils drücken sich die Partien gegenseitig in die Höhe, so dass wir an geologische Phänomene und, damit verbunden, an Caspar David Friedrichs „Eismeer“ (und dessen Adepten in der zeitgenössischen Kunst) denken und von diesen Höhen doch wieder zum Profanen zurückfinden.
Die besondere Qualität im Werk von Martin Schwenk kommt auch hier zum Ausdruck: Er schafft ein verbindliches Dazwischen. Seine Objekte enthalten präzise Anspielungen auf Vegetation, auf Fauna und Flora, sind einzigartig und irgendwie vertraut zugleich: Wie etwas, das man in der freien Natur übersehen, weil unterschätzt hat und jetzt erst – genommen aus seiner eigentlichen Umgebung – in seinem Reiz und seinen Feinheiten entdeckt. Trotzdem! Trotz aller Bezüge zu Natur, die für Schwenks Werk symptomatisch sind, muss man bei der aktuellen Arbeit im Kolkmannhaus nicht zwingend daran denken. Der Blick wandert wie bei einem durchkomponierten (monochromen!) Gemälde von einer Scholle zur nächsten: wie ein Balancieren auf einem festen, glatten halbrunden Grund. Die Orientierung verliert man dabei nicht. Mitunter sind die Einzelelemente aufgeschnitten und dann ist zu erkennen, dass eine breite Rinde ein weiches helleres Volumen umfängt. Die Oberfläche selbst ist in ihrer Materialität, Textur und Tonalität ausdifferenziert und dabei wie von Sonnenlicht beschienen.
Vor genau einem Jahr hat Schwenk diese Arbeit zu einem Skulpturenprojekt in einem Park im niederländischen Tilburg geschaffen. Dort wuchs sie noch an ihrer Randzone um einen Baum. Schwenk hatte dazu, an Ort und Stelle über einer Plane, die zwei Komponenten zum schnell verhärtenden Polyurethan gegossen. Während die Arbeit in der Landschaft aber künstlich wirkte, tritt sie nun im Kunstraum, in Teile von 190 x 190 cm geschnitten, als Möglichkeit von Natur auf.
Martin Schwenk wurde 1960 in Bonn geboren. Er hat bei Günther Uecker an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, wurde mit etlichen Stipendien ausgezeichnet und unterrichtet seit 2010 als Professor für Bildhauerei an der Kunsthochschule Mainz. Über die Region hinaus sorgte er besonders durch seine Ausstellung 2012 im Museum Haus Lange in Krefeld für Aufsehen. Dort waren, flankiert von Aquarellen, Fotoskizzen und einem Rapport floraler Wandmalereien, vor allem Objekte aus breiten Blättern und wuchernden Tentakeln mit feinen Verzweigungen zu sehen. Wachsend aus der Wand oder hängend von der Decke oder allansichtig im Raum, besaßen sie etwas Vibrierendes, Wesenhaftes. Materialien waren besonders Acrylglas, Kunststoff, Gips, Epoxidharz. Aber bereits da gab es einzelne Objekte mit Scheiben aus PU-Schaum, die übereinander gestapelt waren. Was vor einigen Jahren also in die Höhe wuchs, dehnt sich nun, in Wuppertal, auf dem Boden aus. Im Abschreiten entfaltet sich ein enormes Formspektrum im vermeintlich Gleichen. Das Feld stört nicht, sorgt kaum für Aufsehen, verlangt keine Interpretation: Es ist einfach da.
Martin Schwenk – Schaumfeld | bis 21.7. | Neuer Kunstverein Wuppertal | www.neuer-kunstverein-wuppertal.de
außerdem: Martin Schwenk – Baum 7 | bis 29.7. | Universitätsgalerie Oktogon im Klophauspark
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