„Darf ich mal fragen“, eine raumgreifende Skulptur von Christian Schreckenberger aus dem Jahr 2013, steht im Wohnatelier in Düsseldorf mit etwas Abstand vor der Stirnwand: Ein überlanges Sofa kippt mit seinen schillernd grünen Polstersitzen nach vorne. Integriert in eine matt graue Konstruktion, öffnet es sich zum Betrachter hin als Schlund, auf den Kissen liegt ein weißer Stab mit gegenläufig schrägen Achsen. Der Stab ist seltsam und geheimnisvoll: Angestrahlt aus einer verblendeten Lichtquelle, könnte man ihn als Skelett, Insekt, Wünschelrute oder technischem Gegenstand verstehen. Eigentlich müsse man sich diesem Objekt von der geschlossenen grauen Rückseite annähern, sagt Christian Schreckenberger: „Man soll erst nach und nach bemerken, was da eigentlich passiert.“ Im Vorbeigehen lässt der Nebel aus grünem Licht an ein Aquarium denken. Oder aus der mechanischen Konstruktion wird ein Ungeheuer im Ruhezustand.
Christian Schreckenberger wurde 1968 im badischen Weinheim geboren. Er hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Alfonso Hüppi studiert. Seit 2008 unterrichtet er selbst in Wuppertal an der Bergischen Universität und zwar als Lehrbeauftragter im Fach Kunst, außerdem ist er künstlerischer Mitarbeiter am Lehrstuhl „Darstellen und Gestalten“. Schreckenbergers Sache ist die Bildhauerei, der er konzentriert und präzise nachgeht. In einer Vielzahl an Zeichnungen auf dicht gefüllten Blättern verwandelt er archetypische Formideen in Prototypen: Sie sind die Grundlage seiner plastischen Arbeit. Die Raumkörper, Wandarbeiten und Installationen halten sich auf dem schmalen Grat zwischen unserer urbanen Welt und einer plausiblen Parallelwelt. Um 2000 hat Schreckenberger komplex strukturierte plastische Körper aus Holzgestängen gebaut, von innen beleuchtet und mit einer transparenten Folie überzogen. Augenblicklich schien die Konstruktion zu schweben, zumal sie sich punktuell vom Boden abhob. Schon da entstanden Gebilde in der Spannung von technoider Apparatur und unbekanntem Lebewesen aus der Tiefsee. Später hat Schreckenberger seine Plastiken flächig geschlossen, wobei er für jede Arbeit andere Materialien verwendete. Lebensgroß, vom Boden aufragend, sind die Körper kaum zu überschauen, sie müssen umquert werden. Mitunter wirken sie wie enorme Vergrößerungen aus unserem vertrauten Lebensumfeld – der „Alltag“. Das Thema der aktuellen Ausstellungsreihe des Neuen Kunstvereins im Kolkmannhaus, ist also generell ein Ansatz für Christian Schreckenberger. Aber ihn interessiert auch das plastische Potential; er arbeitet mit der Haptik der Oberflächen. So hat er geometrisch organisierte Wandarbeiten aus Teppichstoffen angefertigt, und so ist es konsequent, dass er für die Skulptur „darf ich mal fragen“ mit Polstern gearbeitet hat.
Neu ist freilich, wie Schreckenberger in seinen Arbeiten seit 2013 mit Licht und Helligkeit umgeht. Er verwendet LED-Lampen und hält dabei die Quelle verborgen: Die fokussierten Formelemente strahlen quasi aus sich heraus, sie wirken im Dunkeln wie auf einer fernen Theaterbühne und sind doch nicht so recht zu begreifen. Kühle verbindet sich mit Emotionalität, Klarheit und Berechenbarkeit paaren sich mit Geheimnis. Dies betrifft auch die langgestreckten Gegenstände, die sich inmitten eines Displays, ja, gerasterten Regals befinden, das selbst kaum zu sehen ist. „Kalkweiß und unwirklich wie holographische Projektionen leuchten sie in die Nacht, die dadurch noch dunkler wird,“ hat Christian Schreckenberger vor kurzem über eine Arbeit geschrieben, die er im Kunstverein Baruth im Freien realisiert hat und die dort an Bienenstöcke erinnerte, die ganz anders und doch sehr nah an der Arbeit sind, die er nun für die Ausstellung in Wuppertal realisiert. Haben wir damit nicht schon zu viel verraten? Und, wie viel Seltsames steckt im Alltäglichen selbst?
„Christian Schreckenberger – listen and repeat“ | 8.3. bis 6.4 | Neuer Kunstverein Wuppertal | www.neuer-kunstverein-wuppertal.de
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