Im Neuen Kunstverein im Kolkmannhaus hat Lothar Götz eine großflächige querformatige Wandzeichnung realisiert, wie sie „typisch“ für seine Kunst ist. In der Orientierung an der Symmetrieachse sind Linien schräg über die Fläche gezogen. Aus den Überlagerungen entstehen Farbfelder, welche Vierecke, Dreiecke und Spitzen bilden und teils wie gebrochene Prismen wirken und von der Fläche in den virtuellen Raum kippen. Götz unterläuft jedoch die Erwartungen einer regelmäßigen Konstruktion und setzt Schwerpunkte. Seine Wandzeichnung verfügt über einen dichten Kern sowie Randzonen und Außenbereiche. Vor dem olivfarbenen Grund wirken die Töne pastellfarben und gesättigt, ein Türkis leuchtet heraus. Grundlage für dieses Wandbild ist eine kleine Buntstift-Zeichnung auf Papier. Während Lothar Götz bei anderen Präsentationen die zeichnerische Vorlage direkt in den Raum gehängt hat, zeigt er sie hier in der zweiten Ausstellung, im Sparkassenforum: als Hochformat mit dem Titel „Flatow Allee 16 Berlin“.
Die Buntstift-Zeichnungen von Lothar Götz, die oft an lyrische Abstraktionen, in ihrer großflächigen Umsetzung mit breiten Farbbahnen und Farbzonen manchmal aber an das NeoGeo und aktuelle Tendenzen einer farbintensiven Abstraktion erinnern, beziehen sich mitunter auf einzelne Gebäude und nennen im Titel Vertreter der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, etwa Anni und Josef Albers, Moholy-Nagy und Rodschenko. Und Mario Botta und ein „Modulhaus Orange“ und ein „Haus für eine Londoner Künstlerin“. Der Konstruktivismus und das Bauhaus und ein tieferer Sinn fürs Heute sind Grundlagen der Arbeit von Lothar Götz, die auf Architektur reagiert und Idealzuständen für die Bewohner auf der Spur ist.
Dass Lothar Götz nun gleich an zwei Orten in Wuppertal ausstellt, hängt mit seiner Beziehung zu dieser Stadt zusammen. Er hat 1991 bis 1995 in Wuppertal gelebt, bevor er nach London gezogen ist. Lothar Götz wurde 1963 in Günzburg geboren; im Anschluss an ein Studium an der Fachhochschule Aachen hat er parallel an der Bergischen Universität bei Bazon Brock und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Merz studiert. In der Klasse von Merz, der selbst mit leeren Räumen arbeitet, zeigt sich bereits seine Affinität zur Architektur und deren Infragestellung. Im Gespräch weist Lothar Götz auf seine frühe Zeichnung „Schatten – Schein“, die er 1993 in einem Kölner Atelierhaus mit Schwarz an die Wand gesetzt hat: Zwei langgestreckte, sich nur wenig verbreiternde schwarze Spitzen sind mit Abstand so gesetzt, dass der Eindruck eines Fensters entsteht, das leicht geöffnet ist. – Mit der Fortsetzung des Studiums in London aber zieht die Farbe als Struktur wie auch als atmosphärisches Element in sein Werk ein, sei es in Form von Vorhängen, als Billboards, als ganze Innenraumgestaltungen oder Fassadenmalereien an privaten und öffentlichen Häusern: Damit hat Lothar Götz, der mittlerweile an der University of Sunderland unterrichtet, in den letzten Jahren vor allem in England und Deutschland für Furore gesorgt.
Im Neuen Kunstverein im Kolkmannhaus nun hat Lothar Götz noch eine Front aus Holzplatten schräg eingezogen, die durch die Fensterscheibe zu sehen ist und die Wandzeichnung verdeckt. Mit ihrem Bogendurchgang zitiert die Holzfläche bestimmte Ferienhaus-Vorstellungen und löst dabei Wohlbefinden aus; zudem sorgt sie dafür, auf der anderen Seite gleich die richtige Position zur Wandzeichnung einzunehmen. Begleitet wird dies von der Serie der gerahmten „Retreat“-Zeichnungen: kleinen Geschichten über die Farbe im Konstruktivismus und, verstanden als Grundrisse, darüber, wie wir uns in Räume zurückziehen können.
„Lothar Götz – Retreat“ I bis 27.10. I Neuer Kunstverein Wuppertal I www.neuer-kunstverein-wuppertal.de
„Anke Eilergerhard / Lothar Götz“ I bis 15. November I Sparkassenforum am Islandufer, Wuppertal
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