Die Ruhe tut dem Von der Heydt-Museum gut, die vorübergehende Abstinenz von spektakulären Leihgaben und langen Besucherschlangen. Erstmals seit langem ist die eigene Sammlung über einen größeren Zeitraum im gesamten Haus ausgebreitet, in drei separat zu verstehenden, sich klug ergänzenden Ausstellungen. Ihnen liegen unterschiedliche Zeitspannen und sogar verschiedene Konzepte der Präsentation zugrunde. Der Reihe nach: Die „Alten Meister“ – zu sehen im ersten Stockwerk – wurden parallel zur Rubens-Ausstellung eröffnet, ganz einfach: Sie betten das Barock weiter ein, räumlich wie auch zeitlich. Die Ausstellung gliedert sich nach Regionen. Reihen kleinformatiger Kupferstiche, Radierungen und Zeichnungen durchziehen die Räume und laufen auf einzelne Gemälde zu. Zu den wichtigsten Werken gehört die „Waldlandschaft“ (um 1650) von Jacob van Ruisdael: eine Vanitas-Darstellung inmitten einer Naturschilderung. Direkt an der Rückseite dieser Wand ist die so völlig andere Veduten-Malerei des Markusplatzes von Canaletto zu sehen, freilich befinden wir uns hier, ein Jahrhundert später, in Italien. Die Auswahl an Malerei aus Flandern ist ein weiterer Höhepunkt im Zwischengeschoss. Sie beinhaltet gleich mehrere Landschaften von Joos de Momper. Und Frans Snyders, der als Mitarbeiter der Werkstatt von Peter Paul Rubens in dessen Ausstellung „integriert“ war, ist hier nun mit einem eigenen Werk zu sehen, dem „Stillleben mit Wildschweinkopf“ (um 1645), das durch seinen dynamischen Realismus verblüfft und mehr vom Leben als von Vergänglichkeit handelt.
Hauptwerke auf engstem Raum
Erstaunlich ist vor allem die Präsentation im Zwischengeschoss. Unter dem Titel „Highlights“ sind Werke aus dem 19. Jahrhundert zu sehen. Mehr für sich ist Johann Richard Seel, der Elberfelder Maler und Karikaturist des Vormärz, präsentiert – aber ist seine Malerei ein Highlight des 19. Jahrhunderts? Nur allmählich kommt diese Ausstellung in Gang, bleibt aber widerborstig, sozusagen uneinsichtig, spart sich die Sensationen für später auf … natürlich werden wir noch Daumier und Spitzweg sehen, ebenso Delacroix' „Löwin, ein Pferd zerfleischend“, welche im rechten Winkel zu Courbets „Felsenküste bei Étretat“ hängt. Nun, es liegen gerade zwei Jahrzehnte zwischen diesen motivisch so verschiedenen Malereien. Einige Schritte weiter ist die impressionistische Landschaft an einer Wand verdichtet – ein gewichtiger Schwerpunkt innerhalb der Sammlung des Museums auf engstem Raum. Paula Modersohn-Becker ist dafür mit gleich drei Bildern und zusammen mit Pablo Picasso ausgestellt. Aber das sind legitime Schwerpunktsetzungen, um zu verstehen, was alles zur gleichen Zeit passierte. Zu sehen sind natürlich auch Werke von Bonnard, Ensor und – zu Recht exponiert – Hodler. Die Ausstellung endet mit Max Beckmanns „Selbstbildnis als Krankenpfleger“ (1915), dieses Bild verweist schon auf das Obergeschoss mit der Kunst des 20. Jahrhunderts. Also, die Meisterwerke „drängen“ sich zum Ausgang der Ausstellung, die allzu großzügig begonnen hat.
Akzente im 20. Jahrhundert
Das Obergeschoss mit seiner Folge lichter Räume ist an sich der Ort für die Wechselausstellungen – ein Status, den nun die Präsentation der eigenen Werke des 20. Jahrhunderts einnimmt. Sie läuft relativ chronologisch ab, arbeitet mit einem Miteinander gleicher Sujets. So werden die Frauen in den Bildern von Vallotton („Liegende mit blauer Spielkarte“, 1914), Ferdinand Hodler („Verklärung“, 1909), Lovis Corinth und Kees van Dongen in einem Raum präsentiert. Oder, im Ausklang der Ausstellung, die Bildnisse von Max Beckmann und Oskar Kokoschka … Eine weitere Strategie ist das Zueinander von Skulptur und Malerei. Also eine Bronzeplastik von Archipenko ist gemeinsam mit Bildern der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ zu sehen. Eine Skulptur von Ernst Barlach ergänzt sich kongenial mit Bildern von Leger und Schlemmer: Die Werke steigern und erklären sich weiter. So ergeben sich auch, nach seiner Einzelpräsentation vor einem Jahr, neue Zusammenhänge für den Bildhauer Karl Röhrig, der im Kontext mit einem Bild von Karl Hofer eine gute Figur macht. Wunderbar ist es, dass die weniger bekannten Erich Wegner und Eberhard Viegener berücksichtigt sind und auch der leider schon fast vergessene Georg Schrimpf gezeigt wird: Deutlich wird, warum er in Fachkreisen als einer der wichtigsten Vertreter der Neusachlichen Malerei in Deutschland geschätzt wird. Der deutsche Expressionismus und der Magische Realismus – das wird hier deutlich – bilden einen bedeutenden Schwerpunkt innerhalb der Sammlung des Von der Heydt-Museums, dies beruht auch auf den Schenkungen und Stiftungen, die auch genannt werden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und erst recht in der jüngeren Kunst sieht es hingegen nicht so gut aus. Immerhin sind die informellen Künstler und ZERO ebenso vertreten wie die großen deutschen Realisten der Zeit nach 1960, Klapheck, Krieg, Polke, Richter. Und die neueren Erwerbungen lassen sich als Rückblick auf die eigenen Ausstellungen verstehen, die hier oder in der Kunsthalle Barmen in jüngster Zeit zu sehen waren.
Bei allen drei Ausstellungen aber ist wichtig: Es handelt sich nicht um Best Of-Zusammenstellungen, vielmehr wurden auch Werke berücksichtigt, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Es ging darum, mit dem enormen Sammlungsbestand zu „spielen“ und verschüttete Zusammenhänge herzustellen. Einmal mehr wird deutlich, wie großartig die Sammlung des Von der Heydt-Museums ist; dass Kultur – ob Kunst, Theater, Ballett, Literatur, Musik – ein wichtiges, für jede Kommune unverzichtbares Gut und geistiges Kapital ist. Und wie aufmerksam das Von der Heydt-Museum mit seinen Beständen umgeht.
„Himmel auf Erden“ I bis 1. September I Von der Heydt-Museum, Wuppertal; die Ausstellungen „Alte Meister“ und „Highlights“ sind dort bis Frühjahr 2014 zu sehen I www.von-der-heydt-museum.de
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