Der hyperrealistische Maler Gottfried Helnwein (* 1948 in Wien) ist für Darstellungen von Nationalsozialisten und Kindern bekannt. Im Interview spricht der scheidende Direktor des Osthaus Musems Hagen, Tayfun Belgin, über Helnweins Ausstellung „Realität und Fiktion“.
trailer: Herr Belgin, wie viele Bilder von Gottfried Helnwein braucht es, um seine Arbeit zu verstehen?
Tayfun Belgin: Im Grunde genommen nur ein paar, vielleicht fünf, sechs, sieben.
Seine politische Kunst ist aber nichts fürs Wohnzimmer.
Das stimmt. Aber das ist eigentlich keine politische Kunst, sondern eine gesellschaftskritische Kunst. Politische Kunst wäre zu oberflächlich, weil Politik sich ja in der Regel im oberflächlichen Hochaltar befindet.
Angesichts der Reiz- und Tabuthemen – wie umfangreich muss das Begleitmaterial in der Ausstellung sein?
Wir haben Texttafeln, die eine Auseinandersetzung mit der Kunst ermöglichen.
Und digital?
Digital gibt es unsere Website, da werden fünf Gemälde gezeigt mit begleitendem Text. Ich möchte das aber nicht zu sehr auf eine reine Museumsdidaktik runterbrechen, denn dann kommen die Besucher nicht mehr.
Muss man denn eine Begegnung von Mickey Mouse und Hitler überhaupt kommentieren?
Das muss man in Deutschland kommentieren. In Österreich ist das eher bekannt, weil der große Führer ja nun aus Braunau kam, aus Oberösterreich. In Deutschland muss man erklären, dass Joseph Goebbels ihm zu Weihnachten, ich glaube das war 1934, 17 Walt Disney Filme geschenkt hat, die er geliebt hat – mit dem Zitat, dass sich der Führer dann in seiner Freizeit ein bisschen erholen könne von dem Stress.
Im Gegensatz dazu feiert der Künstler die Kindheit?
Der Künstler hat keine so einfache Kindheit gehabt. Er hat in Wien viel erlebt, von Langeweile bis brutaleren Szenen. Nicht bei ihm, aber bei anderen und das hat ihn nachhaltig beeinflusst sich bis heute mit Kindheit zu beschäftigen.
Resultieren daraus die verhüllten, verbundenen Gesichter, die er in den letzten Dekaden gemacht hat?
Am Anfang, das ist in den 1970er Jahren gewesen, hatten die Kinder zum Teil eine Art von Verletzungen im Gesicht, die man sah. Später, als er die Formate vergrößert hat, hat er sie dann verhüllt, um nicht immer ein konkretes Kind zu zeigen, sondern ein Kind im Allgemeinen. Die Verhüllung hat auch damit etwas zu tun, um nicht als Künstler auch als Voyeur zu gelten, sondern das allgemeine Problem der Gesellschaft zu zeigen.
Ich erinnere mich noch an die Ausstellung „Beautiful Children“, wo Föten in Aldehyd gezeigt wurden.
Die zeigen wir nicht. Die Föten in Aldehyd haben die Wiener gezeigt, ich habe aus bestimmten Gründen darauf verzichtet. Ich habe auch nicht so viel Platz wie in der Albertina. Wir zeigen aber 40 Bilder, auch großformatige.
Was ist überhaupt in Hagen an Inhalten zu sehen?
Die 36 Jahre des Schaffens von Gottfried Helnwein, Themen sind Kinder, Nationalsozialismus, Krieg, Individuum.
Was macht den Hyperrealismus Helnweins so besonders im Gegensatz zu inszenierter Fotografie?
Dass er unter die Haut geht. Inszenierte Fotografie ist eine sehr hohe Technik, aber bei Helnwein hat man neben dem Hyperrealismus, also dass er scharf und realistisch malen kann, noch die besonderen Inhalte. Und diese Ebene kann einem schon mal so einen kalten Schauer bringen.
Malt er nach Fotografien?
Nein, er malt nicht nach Fotografien. Es gibt fotografische Inszenierungen, die er für seine Bilder benutzt.
Sieht man bei den Bildern, was man sehen will, oder sieht man nur, was man sehen soll?
Am Ende ist es ja so, dass Sie nur das sehen, was Sie sehen wollen. Helnwein hat keine Botschaft, dachte man jedenfalls früher. Doch die Botschaft kommt durch den Hyperrealismus sehr klar bei den Betrachtern an.
Besteht da nicht auch eine Gefahr – zum Beispiel bei den Bildern zum Nationalsozialismus – dass da eine gewisse Heroisierung mit einhergeht?
Das gibt es nicht. Entweder sind die Bilder bewusst unscharf gemalt oder es tritt eine Distanz bei der ganzen Szene ein. Man kann nicht vor dem Bild stehen und einen Hitlergruß machen. Weil das vollkommen absurd wäre. Von daher sind die für alle diejenigen, die sich der Ideologie verbunden fühlen, langweilig. Hitler mit der Mickey Mouse, die ein Kleid an hat, also eher Minnie Mouse ist, wirkt lächerlich. Und Hitler selbst, auch lächelnd, im Hintergrund sieht man zerstörte Gebäude, das ist nichts, was man als Anhänger von nazistischen Ideen im Grunde genommen gerne sieht, das befriedigt einen nicht. Wenn ich eine Arno Breker Skulptur in der Ausstellung hätte, davor könnte man heroisieren und da stehen und denken, das ist eine tolle Arbeit.
Helnwein adaptiert aber doch auch alte Meister, oder?
Es gibt diese Serie von Goya, die ihn beeinflusst hat, „Los Desastres de la guerra“. Das ist für ihn ein Anlass. Man kann das ikonografisch zurückrufen und sagen, Goya hat das auch gemalt, diese Kriegswirren, er macht das aber mit seinen Mitteln, indem er eine Manga-Figur vor eine Kriegsszene in Afghanistan oder Irak oder Syrien stellt. Das kann man nicht mehr auf Goya zurückführen.
Für Hagen ist das eine außergewöhnliche Ausstellung.
Ja, nun. Wir haben in Hagen so einige außergewöhnliche Ausstellungen gemacht. Und auch diese, meine letzte Ausstellung, ist außergewöhnlich. Dass es Helnwein geworden ist, war ein lang gehegter Wunsch von mir. Ich denke, wir sind jetzt an einem Punkt, dass wir aufgrund der ganzen politischen Verwerfungen auch, die es in den letzten Jahren gegeben hat, fragen müssen: Was ist Wahrnehmung? Nehmen wir wirklich wahr oder haben wir nur noch die Oberflächlichkeit, die wir wahrnehmen?
Gottfried Helnwein: Realität und Fiktion | bis 30.6. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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