Mit dem Einzug in den Neubau an der Kronprinzenallee war klar, dass die Barmenia auch weiterhin der Kunst verpflichtet bleibt. Vor dem Portal wurde eine zweiteilige Plastik von Tony Cragg errichtet, für die Wand neben dem Empfangstresen hat Christian von Grumbkow ein riesiges mehrteiliges Bild gemalt, und im Foyer und in den Fluren wurden die Kunstwerke der eigenen, über Jahrzehnte zusammengetragenen Sammlung aufgehängt. Aber dass die Barmenia ihre Tradition der Wechselausstellungen wieder aufnimmt, zeigt sich erst jetzt, und zwar auf eindrucksvolle Weise. Die Premiere im dafür freigeräumten Foyer bestreitet Ulrich Erben, einer der wichtigen Künstler im Bereich der Farbfeldmalerei, also einer Malerei, die fern von jeder gegenständlichen Darstellung nichts außer sich zeigt. Zu sehen sind lediglich Farben, eingebunden in Formen auf der Grundlage interner Ordnungen. 1977 hat Erben an der Documenta in Kassel teilgenommen, er wurde 1986 mit dem Conrad-von-Soest-Preis und 2003 mit dem Otto Ritschl-Preis ausgezeichnet, von 1980 bis 2005 war er Professor für Malerei an der Kunstakademie Münster.
Ulrich Erben gehört zu den versierten Malern im Umgang mit Architektur. Er lässt sich von den jeweiligen Gegebenheiten anregen und geht auf diese ein. Dabei sind Wandmalereien ebenso möglich wie Lösungen mit Tafelbildern. Dies ist auch bei den Ausstellungen der Fall, die nur vorübergehend stattfinden. „Der Raum ist immer der Partner“, sagt Ulrich Erben. Nun also die Barmenia: Mit seinen vielteiligen Papierarbeiten und den Gemälden auf Leinwand ziehen eine hell leuchtende Vitalität und eine nachdenkliche Leichtigkeit in die öffentlichen Bereiche ein. Erben hat mit seinen Bildern das weitläufige Foyer geklärt und dessen Qualitäten herausgearbeitet. Jetzt erst nimmt der Besucher die dortige Höhe und die quadratische Ausrichtung der Architektur und ihrer Einheiten wahr. Auch wird die Zusammengehörigkeit von Foyer und Untergeschoss deutlich: Die Ausstellung setzt sich nach unten fort, wo sie dann einen anderen Rhythmus anschlägt. Aber sie fließt auch in die abzweigenden Gänge und gibt diesen ein neues Gewicht.
Bezüge zur Architektur
Ulrich Erben wurde 1940 in Düsseldorf geboren, wo er seit langem im Innenhafen sein Atelier hat. Er ist am Niederrhein und in Italien aufgewachsen – und bleibt beidem als Wohnort und Impuls für die Kunst bis heute treu. Seine gegenstandsfreien Malereien sind Transzendierungen des Sehens in Farben und reduzierte Formkonstellationen. Titel wie „Farben der Erinnerung“ oder „Was ich sehe“ – wie zwei große Werkgruppen heißen – verweisen mit Nachdruck darauf, dass nichts in diesen Bildern ohne Anlass und Notwendigkeit ist. Bezugspunkte sind vor allem natürliche Gegebenheiten. Ulrich Erben vermittelt die atmosphärischen Erfahrungen von Licht und Helligkeit. Seine Bilder sind völlig frei in ihren Übersetzungen und zugleich verbindlich. Grundsätzlich bestehen sie aus dem Zusammenspiel von Horizontalen und Vertikalen. Vor allem im überlebensgroßen Hochformat sind Bilder entstanden, die sich aus einer rundum laufenden breiten Randzone und einem geschlossenen einfarbigen Innenfeld konstituieren. Zudem hat Ulrich Erben Verschränkungen von Feldern und Bahnen vorgenommen, so dass die Farben mitunter auf unterschiedlichen Ebenen zu stehen scheinen und die Farbabstufungen mitteilen, wie sehr sich aneinandergrenzende Farbtöne beeinflussen.
In der Ausstellung in der Barmenia sind aber auch Arbeiten zu sehen, die von der regelmäßigen Struktur abweichen, etwa indem die Farben als freie, mit breitem Pinselstrich gemalte Partien im bewegten Bildgrund stehen. Überraschend sind außerdem die beiden 1987 entstandenen, hier nun gegenüber platzierten Gemälde, die unterschiedliche geometrische Formen in Orange- oder Brauntönen in einen roten Fond setzen und damit die Qualitäten und Wahrnehmungen von Rot ausloten, ja, mithin eine künstlerische Forschung zur Differenziertheit von Farben sind.
Aber das Abenteuer des Sehens beginnt schon am Eingang, wo sich über Augenhöhe Zeilen aus farbgesättigten braunen Papierbögen zum Betrachter hinstrecken. Dieses dichte Feld sitzt so präzise an Ort und Stelle und bezieht sich in seiner Farbigkeit so subtil auf die Umgebung, dass es scheint, als sei es von Erben speziell für diese Situation gemalt worden. Aber es gibt auch dort geniale Momente, wo man sie gar nicht erwartet. Da ist etwa das große hochformatige Bild, das aus zwei übereinandergesetzten Querformaten mit jeweils einem anderen Gelb-Orange als Innenfeld besteht. Hier nun hängt es vor einem „toten“ Schacht des Foyers; es beleuchtet, aktiviert diese Ecke und leuchtet noch aus ihr heraus.
Ulrich Erben, der in den 1960er Jahren Landschaft und Architektur bewegt und wie im Nebel erfasst hatte, ehe er für Jahrzehnte alles Referenzielle beiseiteließ, ist um 2002 mit kleinformatigen Lack-Malereien wieder zur Andeutung des Gegenständlichen zurückgekehrt, in einer Werkgruppe, die er in Bagnoregio nahe bei Rom gemalt hat. Vor allem in den Fluren der Barmenia sind nun die Papierarbeiten ausgestellt, die hieran anschließen und Umspielungen pflanzlicher Natur zeigen – sie weisen noch auf das spezifische, konkrete Fundament der Malerei von Ulrich Erben. Vollends komplett aber wird diese Schau, die die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Werkgruppen anspricht, durch eine zweite große Ausstellung zu Ulrich Erben, und zwar im Museum Küppersmühle in Duisburg. Dieses stellt das Frühwerk vor, rekonstruiert ein frühes Lichtobjekt und bietet zwei Wandmalereien auf. Die beiden Ausstellungen ergänzen sich kongenial – natürlich ist auch das Teil der Choreographie des Künstlers.
„Ulrich Erben: Malerei“ I bis 13. Januar in der Hauptverwaltung der Barmenia Versicherung in Wuppertal-Elberfeld I www.barmenia.de
„Ulrich Erben – Lust und Kalkül“ I bis 29. Januar im Museum Küppersmühle in Duisburg I www.museum-kueppersmuehle.de
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