Wie erklärt man ein Kunstwerk, das noch nicht existiert, vielmehr noch in der Herstellung ist? Zwischen Prag, Frankfurt, Solingen und Düsseldorf flitzen die Informationen und Fragen hin und her. Ja, die Installation „Gravitation Zero“ entsteht in dieser Form extra für das Kunstmuseum Solingen, und hier bezieht sie sich auf das Tanztheater von Pina Bausch, so nahe bei Wuppertal. Ist eine Hommage an sie. Aber es gibt eine erste Fassung, die – unter demselben Namen – im Museum Montanelli in Prag zu sehen war, sowie einige schriftliche Angaben zur vorgesehenen Präsentation. In einem durch die Beleuchtungs-Verhältnisse halbdunklen, in seinen Dimensionen kaum fassbaren Saal werden zwölf verknappte, 160 cm große Figuren aufgestellt – genauer: vor flächige Konstruktionen aus schrundigem Holz, die an menschliche Silhouetten erinnern, sind mit Abstand dünnwandige Masken gehängt. Von Innen erleuchtet schillern sie zwischen Hautfarbe und milchigem Gelb und sind von roten Adern durchzogen. Zumal im Zwielicht werden die Gesichtszüge ambivalent empfunden, als beobachtende Aufmerksamkeit oder als meditative Abgewandtheit, als Dialogpartner oder als reine Erinnerung an einen solchen. Unterschiedliche Charaktere klingen an, die wieder die Vorstellung von Individuen verstärken. Ein feiner Zauber des Erzählerischen, welcher schon die früheren plastischen Arbeiten und auch die Malereien von Daniel Pešta kennzeichnet, liegt auf der Installation, mithin ist der Betrachter hier auf sich zurückgeworfen, schließlich ist er es, der sich bewegt, zu den Figuren hinschreitet, sie umgeht. Räumlichkeit bedeutet hier Raumentgrenzung, jeder Schritt erweist sich als eigene Bewusstwerdung, zugleich wird alles unsicher, unfest. Aber lässt sich das alles in Worte fassen?
Individuum und Masse
Generell sollte man sich der Kunst von Daniel Pešta assoziativ nähern. Zu fein, fast lautlos und doch bestimmt setzt sie an den Grundfesten der menschlichen Existenz an. Schon das: Können Menschen schweben? Im Werk von Daniel Pešta ist dies ein Leitmotiv; auch davon steckt etwas in „Gravitation Zero“, nichts anderes meint dieser Titel. Und das Buch, das zur Ausstellungstournee in Prag, Osnabrück und Solingen erschienen ist, hat Pešta „Levitation“ genannt. Darin beschreibt er in einem Werkbericht, wie er in einer Art Schaffenskrise ab 2006 seine frühere Malerei in Frage stellte und – hin- und hergerissen zwischen Zerstörungswut und dem Wunsch des Bewahrens – sie partiell der Betrachtung entzog. Pešta hat die Leinwände eng zusammengerollt und mit einer Stele aus Harz, wie in Bernstein, umschlossen. Nur noch Ausschnitte der Darstellungen sind als Anreißen eines Themas, aber auch wie ein Ornament sichtbar. Die Oberfläche des Harzes selbst ist taktil und vermittelt das Gefühl von Wärme, aber doch ist die Darstellung in der milchigen Transparenz weit entzogen.
Mit dieser Erfahrung, die augenblicklich die Begriffe der Aneignung und Entlassung und Aspekte von Erinnerung und kollektivem Erleben berührt, hat sich Pešta anschließend Familienfotos zugewandt, die er in anonymen Alben gefunden hat. Daraus hat er etwa Braut- und Bräutigam-Fotografien genommen und diese gerollt und in dichter Menge mit Wiederholungen in einem langgezogenen Setzkasten angeordnet. Damit richtet er den Blick auf die Menschen als Menge und weist doch, im Setzkasten durch Stege getrennt, auf ihre Individualität. Diese Arbeiten gehören zur Werkgruppe „Genetischer Code“, die nach dem Eigentlichen des Menschen, nach seiner Vorherbestimmung und seinem Lösen von dieser fragt und Identität und Einmaligkeit, aber auch massenhafte Reproduktion zum Inhalt hat. Zumal in seinen neueren großformatigen Malereien greift er dies auf: Hier zeigt er Menschenansammlungen, die in Gruppen über einem dunklen Grund zu schweben scheinen. Daneben sind aber auch Videos, Fotos und Performances mit ihm selbst als Akteur entstanden, mit einer Maske vor dem Gesicht, bei der etwa der Mund mit einer roten Schnur verschlossen ist. Natürlich ist das ein Symbol, vielleicht für den politischen Menschen oder den Künstler als Einzelgänger, vielleicht aber vertieft dies bestimmte Theatertraditionen weiter.
Daniel Pešta wurde 1959 in Prag geboren, wo er auch Kunst studiert hat. Im Kommunismus hält er sich von den avantgardistischen Strömungen fern und arbeitet als Grafiker, der Plakate und Plattencover entwirft, sowie als Maler. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks reist Pešta in den Westen, er erlebt die zeitgenössische Kunst in New York und reüssiert mit einer assoziativ intuitiven Kunst, die zunächst konkrete Themen vor Augen hat, den Holocaust, menschliche Katastrophen oder auch partnerschaftliche Situationen. Daraus destillieren sich seine Themen der Humanität, die nach dem Eigentlichen des Menschen fragen und seinem zeitlos Fundamentalen, mithin seiner Überlebensstrategie über das historische und das Tagesgeschehen hinaus auf der Spur sind. Das Theatralische, wie es noch mittels der Maske betont ist, erweist sich als Verfahren der Verwandlung und Transformation, der Inszenierung von Aggregatzuständen, die dazu da sind, um Situationen des Übergangs zu bannen. Pešta fasst dies in Formen, die etwas Tröstendes bereithalten, indem sie einen Blick auf das Verhüllte und Abgewandte zulassen und Festtage der Existenz aufrufen und sich schließlich aller irdischen Schwere entledigen. „Die menschlichen Wesen sind glücklicherweise nicht nur rationale Wesen“, schreibt er im Katalogbuch. „Sehnsüchte und Eindrücke sind auf ewig archaisch in uns gespeichert, und die Begierde, alle Winkel unserer Seelen zu erkennen, wird immer gleich dringlich sein.“
„Daniel Pešta – Gravitation Zero. Tribut für Pina Bausch“ I 11. Februar bis 18. März im Kunstmuseum Solingen I www.kunstmuseum-solingen.de
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