Der Termin in Berlin klappt. Erst vor ein paar Wochen ist Friederike Ruff aus Beirut zurückgekehrt, von einem Stipendium. Die Koffer aber sind bereits wieder gepackt für ein Ausstellungsprojekt in Dubrovnik. Die fremden Orte liefern ihr Impulse für ihre künstlerische Arbeit: die Beobachtungen und Begegnungen in der Ferne, die unerwarteten Seherlebnisse, deren Bedeutung sich erst allmählich erschließt und die so viel über die Gesellschaft und ihren Wandel unter verschärften Verhältnissen mitteilen. Friederike Ruff bringt von ihren Reisen neben einzelnen Gegenständen eigene Fotos, Notizen, Zeitschriften mit, zugleich recherchiert sie weiter zu den gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen. In ihrer Atelierwohnung im Wedding sichtet sie das Material am Computer, um es als Collage mit ihrer Malerei zu verschränken oder als Montage zu vergrößern. Auch dann konfrontiert sie bisweilen die glatten Oberflächen der Fotografie mit der pastosen Taktilität der Malerei. Mitunter integriert sie Reproduktionen alter Kupferstiche, die noch das Raue und Subtile der Oberfläche behalten.
Einige Wochen später. Friederike Ruff ist von Dubrovnik direkt nach Wuppertal gereist, um dort ihre Ausstellung bei Jürgen Grölle vorzubereiten. Der Ausstellungstitel „now and nothing“ ist assoziativ zu verstehen. Angesprochen ist die Beobachtung gegenwärtiger Phänomene, die den Umgang mit der Zeit in unserer Gesellschaft betreffen. Ruff stellt Beziehungen her, eines verweist aufs andere. Auf den schwarzen Kasten mit einem Geweih, welches im Schein einer Glühbirne und deren (gemalter) Korona nahezu verschwindet, reagiert am anderen Ende des Raumes ein großformatiges Bild mit einer nächtlichen Szenerie. In das kippende Bildfeld ist mit den Leuchtbuchstaben amerikanischer Motels „HOME“ eingeschrieben. Davor liegt ein Teppich, der eine Spiegelung des Bildes scheint und das Thema von Heimat und Geborgenheit weiter vertieft. Tatsächlich wurden dieser und die anderen Teppiche in der Ausstellung in Persien gefertigt, waren aber jahrelang in einem schwäbischen Haushalt ausgelegt. Sie zeigen Ornamente in ihrer Symmetrie und Zentrierung – wobei letzteres auch viele Bilder von Ruff kennzeichnet. Zudem sind lange Farbstreifen teils gemalt und teils aufgeklebt. Bei „Home“ nun fahren sie von oben in die Landschaft hinein. Sie sind vielleicht filmisches Zitat der Landung eines Raumschiffs. Der Teppich wird zum „Fliegenden Teppich“.
In der Ausstellung steht gegenüber ein Baum, in dessen Ästen Schlüssel hängen. Der Baum dreht sich langsam, mittig „wächst“ der Stamm aus einem alten Koffer, einer Schatztruhe. Friederike Ruff beschwört mit solchen Werken Vorstellungen von Ferne, von Reisen, vom Augenblick des Erlebens voller Illusionen. Aber wie sehr überdecken die Klischees die Wirklichkeit? Ein weiteres: Befördern die Mechanismen des Konsums und das Funktionieren von Werbung und die Rolle der multinationalen Konzerne nicht den Untergang authentischer Produktionsstätten und den Verlust von Traditionen?
Mitunter appliziert sie Druckbuchstaben, die suggestive Botschaften vermitteln. In einem Bild greift sie die kristalline Netzstruktur der utopischen Architekturen von Buckminster Fuller auf, die Wohnraum für die Bevölkerung meinen. Die Wabenstrukturen tauchen dann in einem anderen Bild der Ausstellung wieder auf, wo sie Ordnung im Chaos sind. Schlussendlich geht es in der Kunst von Friederike Ruff darum, inmitten der heutigen Reizüberflutung an Bildern und Informationen die Notwendigkeit von Identität, Ökologie und spiritueller Tiefe herauszuarbeiten: indem sie direkt vor Ort eingreift, mitten in der Gesellschaft, als Form der Entschleunigung.
„Friederike Ruff – now and nothing“ | bis 23.8. | Grölle pass : projects | 0173 261 11 15
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