„Flugsaurier“ – eine spontane Assoziation der Assistentin von Jürgen Grölle – ist ein zutreffender Vergleich für dieses raumgreifende Gebilde. Ein urtümlich wirkendes Geäst verhält sich zwischen Ausdehnung und Kontraktion. Es windet sich durch die Tiefe der Galerie, verzweigt und rankt sich empor und umreißt ein virtuelles Volumen, wie ein Schwarm in einem kreiselnden Sog. Das Kantige, Sehnige hat etwas Bedrohliches. Der Beige-Ton und das silbrige Blau der Rinde sind von einem schillernden Perlmutt durchdrungen, und dazwischen schaut ein kantiges Stück Holz hervor. Plötzlich hat das etwas Meditatives, Friedliches. Natürlich liegen Vergleiche aus der Zoologie und Biologie auf der Hand, aber doch lässt sich keine Gesetzmäßigkeit aus der Konstruktion, die in mehreren Teilen im Raum zu schweben scheint, ableiten. Man entdeckt immer neue Details, hat schließlich das Gefühl, dass alles nur provisorisch ist, mitten im Wachsen und kurz vorm Zerreißen, „im Übergang von dem einen zum anderen Aggregatzustand“, wie Jürgen Grölle schreibt: „Während dieser Entwicklungen [frieren] Raum und Zeit ein.“
Bei Wolfgang Flad im Atelier, mitten in Berlin-Kreuzberg, verstärken sich derartige Eindrücke weiter. Der Lagerbereich ist mit einer Glasscheibe abgetrennt, gegen welche wuchernde Teile drücken und den Eindruck eines Gewächshauses oder Terrariums verstärken. Wolfgang Flad nickt, verweist noch auf die Analogien zur Unterwasserwelt mit dem Grünton, dem feingliedrig Rauen. Und dabei geht es um Skulptur, zeitgenössische Bildhauerei, auf der Grundlage ihrer elementaren Bedingungen. Wolfgang Flad ist Bildhauer, der aufmerksam mit dem Raum arbeitet, aber auch genau die Farben als taktile Oberfläche setzt und so das skulpturale Ereignis verdichtet. So wie man in der Malerei auch plastisches Empfinden zum Ausdruck bringen kann. An einer Wand, etwas abseits, hängt ein Gemälde, auch von ihm, vor einigen Jahren entstanden, die Ecken gerundet, der Bildträger ist Holz, doch die Oberfläche wirkt samtig, von einer enormen Tiefe. Grüne Farbschlieren fließen, breiten sich aus, überlagern sich, wirken vertraut und fremdartig zugleich, ein Hauch von Science Fiction trifft auf vorzeitliches Wachstum, eine Metapher für die Schöpfung der Welt.
Traditionen der Skulptur
Statt der Malerei erstellt Wolfgang Flad mittlerweile Reliefs mit grau-silbrigen Aluminiumflächen oder – in etwas anderer Anmutung – mit Holz. In die monochrom lackierten Oberflächen des Holzes hat er organische Verläufe in Schichten gefräst, so dass die Ränder der Krater an die Jahresringe von Bäumen denken lassen und noch wie eine Flüssigkeit wirken, die sich in die Fläche eingebrannt hat. Das Langgezogene der Tropfen erinnert an plötzliche Spritzer; aufeinanderfolgende Stadien treten in Gleichzeitigkeit auf als dynamisches Ereignis in Slow Motion, und in all dem der Installation in der Elberfelder Galerie so verwandt. Aber spielen bei diesen gegenstandsfreien Eingrabungen in Holz, die augenblicklich gegenständlich verstanden werden, nicht auch Erfahrungen aus der Jugend eine Rolle?
Menschliches Maß
Wolfgang Flad wurde 1974 in Reutlingen geboren, also in der Region, in welcher etwa der Holzschneider HAP Grieshaber und der Zeichner Erich Mansen tätig waren. Nach einem Studium an der Fachhochschule Reutlingen hat Flad an der Kunstakademie Stuttgart studiert und sich dort der Bildhauerei zugewandt, in einem diskursiven, offenen Sinne. Zu den Objekten, die noch von dieser Zeit geprägt sind, gehören die Stühle und der Tisch im Atelier, die wie Kristalle aus geschlossenen Flächen zusammengesetzt, aber in ihren Achsen verschoben sind und zumal in ihrem homogenen pastellfarbenen Ton mitunter an Edelsteine erinnern. Wolfgang Flad hat das vor einigen Jahren fortgesetzt, in seiner freien Kunst. Die Polyeder kehren wieder als Basisformen der Skulpturen mit wucherndem Geäst, bei dem Pappmaché ganzflächig Holzlatten ummantelt. Überall in der Kunst von Wolfgang Flad steckt das kantige Spreizen drin. Als Silhouetten zeichnen sich bei diesen Skulpturen mitunter elegante Figurationen ab. Aber aus der Nähe schwillt das Volumen an, entwickeln sich Fliehbewegungen, die an ein Ausbreiten der Arme und Beine denken lassen, an Tanz und Klettern im freiesten Sinne, zumal diese Skulpturen, die immer noch die Assoziation an knochige Glieder wecken, auf das menschliche Maß bezogen sind. Erstmalig hat Wolfgang Flad das im vergangenen Jahr zu einem raumgreifenden Geflecht erweitert, nun ohne Basen, vielmehr hängend, anlässlich einer Ausstellung im Centraal Museum Utrecht. Hieran schließt die Installation in Elberfeld an – was aber nicht ausschließt, dass Wolfgang Flad schon bei der nächsten Ausstellung all das, was jetzt in den Raum driftet, wieder zu einem Kernvolumen komprimieren könnte. Ein wichtiger Bezug seiner Kunst ist die organische Plastik von Arp und Brancusi bis hin zu den Folgen im deutschen Informel der 1960er und 1970er Jahre, die ja auch das Wuchern zum Motive hatte. Wolfgang Flads Arbeit ist eine intelligente Reflexion darüber, was Skulptur ist, aus den Erfahrungen der jüngsten Kunstgeschichte und den Beobachtungen der Naturwissenschaften wie auch des Films. Seine bildhauerische Abstraktion verhält kurz vor der Konkretion, nein: Sie ist schon wieder auf einem rasanten Weg von dieser weg.
„Wolfgang Flad – Here to Hear“ I bis 24.3. I GRÖLLE pass:projects I www.passprojects.com
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