Schon das ist ein Indiz: Die Remscheider Ausstellung von Peter Schmersal umfasst rund 80 Bilder aus mehreren Werkphasen und Motivgruppen, mit Schwerpunkt auf den letzten Jahren. Peter Schmersal ist ein Künstler, der geradezu unersättlich malt. Malerei ist ihm als Prozess wichtig, wird zur fast obsessiven Handlung im bildnerischen Radius des Realismus. Das schließt aber keineswegs den Einsatz neuer, experimentell orientierter Mittel oder das Innehalten und Maßnehmen aus. Ohnehin beruht seine Malerei auf der Genauigkeit in der Aufmerksamkeit.
Die Präsentation seines Werkes erstreckt sich auf beide Häuser der Städtischen Galerie in Remscheid. Trotz der Anzahl der Bilder und trotz der Berücksichtigung der unterschiedlichen Aspekte ist die Ausstellung in Remscheid keine Retrospektive. Sie ist von Schmersal rein ästhetisch angelegt, Malereien verschiedener Zeiten hängen nebeneinander, die Bildgattungen wechseln von Raum zu Raum. Mitunter sind die Räume dicht gefüllt, einmal folgen die Bilder an einer Wand sogar auf Stoß, dann wieder dominiert ein einziges Gemälde den gesamten Raum. Durch diese intuitive, in sich stimmige Dramaturgie erschließt sich das Werk von Schmersal als Ganzes. Deutlich wird, wie sehr alles zusammenhängt und dass Schmersal über die Jahre hinweg wieder und wieder auf bestimmte Themen und Sujets zurückkommt: auf Naturstücke, Blumenstillleben, Porträts und Akte, auf karge Interieurs, einzelne Figuren im Raum und auf malerische Paraphrasen zu Meisterwerken der Kunstgeschichte.
Wenn die Bilder nicht gerade in einer Ausstellung hängen: Im Atelier in Berlin-Kreuzberg, wo Peter Schmersal heute im Wechsel mit dem Atelier in seiner Heimatstadt Wuppertal arbeitet, lehnen Beispiele aus den verschiedenen Gruppen nebeneinander und passen dort stimmig zusammen. Seine Malerei ist stets durch den Umgang mit Farbe als liquider Materie sowie ein spannungsvolles Verhältnis von Figur und Grund gekennzeichnet. Der Realismus ist versiert, souverän im Modellieren leiblicher Körper, im Spiel mit Licht und Schatten und in der perspektivischen Verkürzung in den Bildraum hinein. Aber die Gemälde brechen zugleich mit vorschnellen Erwartungen und beinhalten immer noch abstrakte Partien. So verzichtet der Hintergrund auf Konkretheit und wirkt mitunter wie ein transparenter Schleier: Schmersal trägt dort die Farbe in geschwungenen breiten Bahnen als wässrigen Ton auf; dabei bleiben Farbnasen stehen. Es geht um Malerei, vorgetragen als Malerei, welche zugleich Wirklichkeitserfahrung und deren Aneignung ist.
Sinnliche Erfahrungen
Zum besonderen Umgang mit der Wirklichkeit und deren Wahrheitsgehalt tragen die mitunter atemberaubende Perspektive und die Einzeichnung von Schatten bei, welche den Boden und den Hintergrund als widerständige Fläche definieren. Überhaupt treten Schmersals Motive gegenwärtig und präsent auf. Schon wie eine Blume sich inmitten eines ovalen Feldes behauptet, ein beseeltes Stück Natur und zugleich Zitat von Kunstgeschichte ist und dabei reine Malerei bleibt, ist eine großartige bildnerische Findung.
Mit solchen Bildern wurde Peter Schmersal, der vor einigen Wochen seinen 60. Geburtstag feierte, bereits in den 1990er Jahren bekannt. Das Von der Heydt-Museum hat unter Sabine Fehlemann frühzeitig das Besondere seiner Malerei erkannt und ihm eine Einzelausstellung im Jahr 2000 eingerichtet. 2011 hat auch ihr Nachfolger Gerhard Finckh Peter Schmersals Beitrag für die zeitgenössische Kunst gewürdigt: Innerhalb der Ausstellung mit Porträts aus der Sammlung des Von der Heydt-Museums wurde sein kleinformatiges Selbstbildnis gemeinsam mit Werken von Joseph Beuys und Francis Bacon präsentiert.
Sich selbst nimmt Schmersal bei den Porträts also nicht aus. Oft hat er die Köpfe in Ausschließlichkeit gegeben. Sie nehmen das gesamte Bildformat ein, sind noch angeschnitten und dann in Nahsicht gegeben. Dabei kommt Schmersal über Jahre auf immer dieselben Modelle zurück. Seine Darstellungen „durchleuchten“ den Menschen und betonen seine Einzigartigkeit und fragen danach, wie er sich im Bild verhält. Überhaupt dreht sich vieles in der Kunst von Schmersal um Körper für sich und in ihrer Umgebung. In der Malerei der jüngeren Zeit halten sich Akte im unbestimmten Raum auf oder liegen auf einem Bett, gesehen wie aus weiter Ferne. Oder ein Mann steht mitten im hochformatigen Bildfeld und definiert durch sein aufrechtes Da-Sein die Stabilität des Geschehens – mit seiner Malerei gelangt Schmersal zu immer neuen Ideen und malerischen Lösungen. So schiebt er eine halbhohe Trennwand in den Bildraum oder schildert die Oberfläche eines Tisches in der schrägen Aufsicht und hält sie dadurch als sinnlich taktile Substanz fest ... Peter Schmersals Kunst ist eine Sternstunde der Malerei, ihrer Tradition und ihrer Gegenwart. In unserer Region waren zuletzt seine kunstgeschichtlichen Paraphrasen in der Düsseldorfer Galerie von Horst Schuler zu sehen. Auch dieser Werkaspekt ist in Remscheid ausgestellt; er steht dort mit neuen Bildern im Zentrum – ohnehin, bei Schmersal ist alles in die Geschichte der Malerei eingebunden und handelt doch von heutigen Erfahrungen. Anregend ist das immer.
„Peter Schmersal – Malerei“ | bis 20.1. | Städtische Galerie Remscheid | www.remscheid.de
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