Ein Foto im Hagener Katalog zeigt Christian Rohlfs als alten, etwas kauzigen Herren mit weißem Bart, einen Zylinder auf dem Kopf, die Haut faltig, wacher Blick, eine Zigarre anzündend. Das Foto macht an dieser Stelle Sinn: Unter den druckgraphischen Blättern von Christian Rohlfs findet sich auch das Porträt eines Rauchers, der rein mit geschwungenen breiten Konturen gezeichnet ist und schon ein bisschen an Rohlfs selbst erinnert. Und: Er hat die Hölzer der Zigarrenkisten als Druckstöcke genutzt. Rohlfs, der mit seinen weichen Tempera-Malereien bekannt ist und zu den herausragenden Malern des deutschen Expressionismus gehört, zeigt in seinen Druckgraphiken eine andere Seite seines Schaffens.
1908 hat er – als schon gestandener, reifer Künstler – den Holzschnitt für sich entdeckt und im Laufe von nicht einmal zwei Jahrzehnten ein enormes Ausdrucksspektrum entwickelt, das zwischen lyrisch und hart, lapidar und komplex, erzählerisch und deskriptiv wechselt. Aber bereits 1926 stellt er die Druckgraphik wieder ein. Einen umfassenden Einblick in diesen wichtigen Aspekt von Rohlfs Arbeit liefert jetzt die Ausstellung in Hagen mit 185 Blättern aus einer Privatsammlung. Besser geht es nicht, zumal das Osthaus Museum, in dem sich seit 2011 das Christian Rohlfs Archiv befindet, im Altbau auch einen Einblick in die Malerei zeigt, etwa mit dem pointilistischen Ölgemälde „Interieur des Museum Folkwang Hagen“ von 1903, das wieder eine andere Phase seiner Malerei repräsentiert.
Christian Rohlfs wird 1849 im Kreis Segeberg in Holstein geboren, mit 24 Jahren muss ihm, infolge des Sturzes von einem Baum, ein Bein amputiert werden. Er studiert in Weimar; zunächst wird er mit seiner Landschaftsmalerei im impressionistischen Stil bekannt. 1901 lädt ihn der Hagener Museumsgründer Karl Ernst Osthaus ein, sich hier niederzulassen. Er soll an einer geplanten Malschule unterrichten und erhält Wohnung und Atelier im Hagener Folkwang-Museum, dessen Sammlung später (nebst dem Museums-Namen) nach Essen abwandern wird. Aber Rohlfs bleibt, unterbrochen von Reisen und Arbeitsaufenthalten, etwa in Soest, dann München und später am Lago Maggiore, Hagen treu. 1924 wird er hier Ehrenbürger, 1930 eröffnet das „Christian Rohlfs-Museum“ als erstes öffentliches Museum, das einem Vertreter der Moderne gewidmet ist. Aber die Nazis konfiszieren 1937 seine Werke als „entartet“ und erteilen ihm Ausstellungsverbot. Im Januar 1938 stirbt Rohlfs in seinem Hagener Atelier.
In Hagen hat Christian Rohlfs wesentliche Impulse für seine Kunst erhalten. In der Sammlung von Karl Ernst Osthaus sieht er Werke von Vincent van Gogh, Edvard Munch und Emil Nolde, die seinen eigenen Weg hin zum Expressionismus beeinflussen. Sehr gut lässt sich dies auch anhand der Druckgraphiken – von denen die weitaus meisten Holzschnitte sind – verfolgen. Rohlfs „Tänzerin (Bordellszene)“ bezieht sich wahrscheinlich auf Picassos „Demoiselles d'Avignon“, das 1916 erstmals in Paris ausgestellt wurde und großes Aufsehen erregte. Ganz in der expressionistischen Tradition steht das Blatt „Der Gefangene“ (1918), das Rohlfs in Reaktion auf den Krieg gedruckt hat. Er setzt die Holzstrukturen zur Intensivierung der Aussage ein. Der Bildausschnitt wird zum Fensterrahmen, und indem der Gefangene ihn mit seinen knochigen Fingern umgreift, überwindet er die Distanz zum Betrachter. Die Querbalken aber demonstrieren das Unüberwindbare der Gefangenschaft. Die Weißaussparung steht gleichwertig neben den groben Konturen, mit denen Rohlfs den Leib modelliert...
Birgit Schulte und Tayfun Belgin ist es im Osthaus Museum gelungen, auch mit diesen kleinformatigen Blättern die großzügigen und hohen Ausstellungsbereiche zu aktivieren. Rohlfs Holzschnitte behaupten sich in der Weite, ebenso wie in den Kabinetten. Und so karg im einzelnen Blatt, reduziert im Format die Beiträge dieser Ausstellung auch sind, so aufregend ist doch der umfassende Blick auf diesen wichtigen Künstler.
„Christian Rohlfs – Das sind so neue, kühne, ernste Sachen, diese Schnitte!“ | bis 4.5. | Osthaus Museum Hagen | www.osthausmuseum.de
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