Im Sparkassenforum stehen die Stellwände diesmal schnurgerade nebeneinander, nur in der Mitte offen, so dass sich zwei Blöcke ergeben, auch die Rückseiten sind bespielt. Die Malereien von Stefan Bräuniger hängen in der linken Hälfte, wenig mehr als ein Dutzend Bilder. Zu sehen sind, realistisch gemalt, Blumen, Blüten, Beeren, alleine und im Bund, immer als Close-Up im Bildzentrum riesig. Und indem sie überlebensgroß sind, wirken sie wie unterm Mikroskop. Die Gemälde selbst sind für sich klein- bis mittelformatig. Das Atelier ist leer, sagt Stefan Bräuniger. Alles ist hier ausgestellt oder bei einer seiner beiden Galerien. Stefan Bräuniger kommt auf die Minute genau zum Termin, er ist fast etwas irritiert über die Fragen. Gewiss, seine Bilder haben etwas völlig Selbstverständliches, sie zeigen nichts außer sich. Sie geben nichts vor, meist sind die Formate quadratisch. Es gibt keine Geschichte, die dahinter stünde – zu sehen ist einfach sorgfältige, minutiöse Malerei der tagtäglichen Natur aus unserer domestizierten Umgebung, maximal taucht noch eine Vase im Anschnitt auf. Bräuniger malt seine Bilder nacheinander, der Vorgang hat etwas Handwerkliches, jedes Bild braucht Wochen, bis es fertig ist – und dann alles andere als Handwerk ist, sondern gesehene, herausgegriffene Natur als Teil unserer Lebenswelt und Momentaufnahme unserer Befähigung zur Wahrnehmung. Tatsächlich treten die Naturstücke höchst filigran auf, sie sind ausgesprochen differenziert gemalt. Sie wirken wie dünnwandige starre Schichten aus Eis, sind noch durchscheinend, nuanciert in der Wirkung von Licht und Schatten, oft schaut man hinein, erkennt Risse oder Verfärbungen im Blütenblatt. Dann wieder wirkt das organische Weiß wie Watte, fällt als Blatt schlaff, die Stängel indes kennzeichnet etwas Hartes, Stabiles. Oder eine Blume ragt einem direkt entgegen, löst sich dabei als Ornament in der Fläche auf. Zwar nimmt Bräuniger eigene Fotografien als Grundlage, aber Fotografie würde anders aussehen, schon mit dem Realismus ist es so eine Sache. Einzelne Verläufe der Pflanzen sind weich, verschwimmend gegeben: Das Bild ist Gegenüber aus einer anderen Welt. Stefan Bräuniger zeigt mit seinen Werken die Möglichkeiten von Malerei und die Grenzen des Realismus auf und verleiht den Pflanzen einen Hauch des Magischen, Auratischen. Sie sind absolut und schön und dabei irritierend dominant. Dem Hingebungsvollen, Akribischen, mit dem sich Stefan Bräuniger seinen Bildern zuwendet, entspricht, dass er seit Beginn seiner Tätigkeit als Maler keine anderen Sujets zulässt, wenngleich er gegen allen Schematismus angeht und eben keine aufeinanderfolgenden Serien mit ein und demselben Motiv erstellt. Geboren 1957 in Wuppertal, hat Bräuniger zunächst in Berlin Grafik-Design studiert. Erst danach hat er sich der freien Kunst zugewandt. Anfänglich entstehen Zeichnungen; über eine Malerei in den Nuancen von Schwarz und Weiß findet er zur Farbe, die aber bis heute verhalten bleibt, den Lokaltönen der Pflanzen verpflichtet ist und tonale Abstufungen auslotet. Natürlich wirkt eine solche Malerei unzeitgemäß, schon mit dem Motiv und seiner Ausschließlichkeit nimmt sich Bräuniger aus jedem Trend heraus. Aber überhaupt: Zeit und Ort sind seinen Bildern fern, im Grunde handelt es sich um heutige Stillleben ohne herkömmliche Metaphorik. Die Bilder von Bräuniger fordern eine langsame Betrachtung ein, gegenläufig zu aller Reizüberflutung im digitalen Zeitalter. Zugleich werden die Rolle und das Vermögen von Kunst hinterfragt – überhaupt ist das eine Qualität der Ausstellung in Wuppertal, noch in der Gegenüberstellung mit den Fotografien von Andrea Hold-Ferneck, wie bei ihm erkundet an der „neutralen“, leicht zu übersehenden Natur.
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