Man kann nicht genug anerkennen, dass diese Ausstellung im Sparkassenforum tatsächlich stattfindet und wie sie umgesetzt ist. Schließlich war Hans Reichel, der Schriften-Entwickler, Musikinstrumente-Bauer und Musiker aus Wuppertal, im eigentlichen Sinne kein bildender Künstler. Indem er mit Maurycy einen befreundeten Maler zur Teilnahme eingeladen hatte, waren erst recht unterschiedliche Elemente zu integrieren. Und dann ist Hans Reichel, der das Ausstellungsprojekt noch mit vorbereitet hat, im November vor einem Jahr überraschend im Alter von 62 Jahren gestorben – damit ist die Schau eine Gedächtnisausstellung, die in ihrer Lebhaftigkeit aber ganz gegenwärtig ist. Nur die Aufbauten zum Musizieren in einer Ecke der Koje erinnern daran, dass jemand fehlt.
Frank Ifang und Peter Klassen sind eine Ausstellung und ein sehr persönliches Buch gelungen, welche die wichtigen Leistungen von Hans Reichel vorstellen und die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Aspekte unterstreichen. Das beginnt im Eingangsbereich, wo seine Musik ganz beiläufig, aber suggestiv aus einem Lautsprecher zu hören ist. Und es endet am Display im hinteren Bereich der Sparkassenhalle, wo man auf Monitoren die Homepage von Reichel sehen und hören kann, die selbst interaktive animierte Kunst ist. Auf der Höhe seiner Zeit war Hans Reichel sowieso in seinen „Kerndisziplinen“, dem Design von Schriften und in der Musik, mit der er zum Ansehen von Wuppertal als herausragendem Ort für improvisierte Musik beigetragen hat.
Die Ausstellung präsentiert dazu die vielen Schallplatten- und CD-Einspielungen, die er mit Kollegen in nah und fern unternommen hat, seinem Freund, dem Grobschnitt-Musiker Eroc ebenso wie mit Sven-Åke Johannson und Keith Tippett. Einfallsreich war der Gitarrist schon frühzeitig. Seine „absolut originelle Technik [ließ] einen Riesenaufwand elektrischer Geräte vermuten“, berichtet der Hessische Rundfunk vom Frankfurter Jazzfestival 1972. „Umso erstaunter war man, als Reichel mit einer primitiven Pfadfindergitarre und einem völlig normalen Verstärker ankam.“
Um 1990 setzt der akribische Tüftler eine Erfindung um, die von nun an seine musikalische Aktivität prägt: Er baut das Daxophon, ein denkbar einfaches Streichinstrument. Ein etwa 30 cm langes, von Mal zu Mal verschieden von Hand gefertigtes Holzbrettchen wird mit einem Cello- oder Bassbogen bespielt und einem Holzblock gesteuert. Im Bereich der experimentellen Musik anzusiedeln, vermochte Reichel je nach Spielweise und Zuschnitt des Holzbrettchens die unterschiedlichsten Geräusche und Klangfarben zu erzeugen. Er reiste mit dem Daxophon um die Welt, landete immer wieder in Japan und trat mit weiteren Musikern auf, sogar das Kronos Quartett konzertierte mit ihm auf Daxophonen. Die Wirkung des Daxophon ist erstaunlich: „Gewappnet mit einem Geigenbogen, strich Reichel über die Holzzunge und ließ mal die akustische Fata Morgana einer läufigen Katze, mal die einer Kompanie überlauter Schnarcher vor dem verblüfften Publikum erscheinen“, schrieb der Music Express 1995.
Viele, viele Gesichter
Aber erinnern die Stöcke in der Reihung nebeneinander, wie sie Reichel auch bei sich zu Hause in der Haarhausstraße aufgehängt hat, nicht an ein Alphabet? Noch vor der Beschäftigung mit dem Daxophon hatte sich Reichel ja im Spezialberuf des Schriftdesigners etabliert. Der gelernte Grafiker hat mehrere Schriftfamilien kreiert, die heute in unterschiedlichen Bereichen im Gebrauch sind, darunter als bekannteste die FF Dax und, schon 1983, die Barmena. Frank Ifang von der Sparkasse Wuppertal berichtet, wie sich der Perfektionist Reichel ärgern konnte, wenn er Schriften auf Briefbögen oder an öffentlichen Orten sah, die er sofort als ungeordnetes Allerlei wahrnahm. „Liebevolle Detailgenauigkeit, konsequentes Abarbeiten gesteckter Ziele bis zur Erschöpfung, Wissbegierde, Leidenschaft und Humor waren Eigenschaften, die ich sehr an ihm schätzte“, schreibt Inka Strotmann von Fontshop International, die für die Umsetzung und den Vertrieb zuständig war. „Für Hans war es enorm wichtig, nicht nur seine Schriften zu designen, nein, er wollte auch in jeden Schritt der Fontproduktion mit einbezogen werden, mitverfolgen und nachvollziehen.“
Ein homogener Bestandteil in der Ausstellung sind die Malereien von Maurycy. Der 1970 in Jelenia Góra geborene Maurycy Łozinsky hat etliche Jahre im Hinterhofatelier von Reichel gemalt. Er ist gewiss von diesem beeindruckt, aber als Autodidakt wurzelt er ganz in seiner Wahrnehmung und im unmittelbaren Ausdruck. Maurycy ist ein Vollblutmaler, expressiv und geradezu manisch, weshalb aus vielen, vielen jeweils für sich erfassten und übersetzten Gesichtern ganze Ansammlungen, Bevölkerungen entstehen, festgehalten oft in winzigem Format, was den Eindruck eines Welttheaters um so mehr verstärkt. Aber Maurycy arbeitet zur Individualität jedes Einzelnen in seinen Bildern hin. Seine Malerei ist vital und aufgerissen, sie lässt tiefere Schichten durchscheinen, deutet an, verstärkt andernorts und kommt meist auf den Menschen als alleinigen Gegenstand zurück.
Genauigkeit und Zulassen, Organisation und freihändige Zuspitzung – hier schließt sich der Kreis zu Hans Reichel, den man voller Überzeugung als Künstler bezeichnen darf, der mit seinen Erfindungen und Empfindungen unsere Wirklichkeit transzendiert. Vielleicht meinen ja selbst die Buchstaben als das Inventar, mit dem wir uns visuell – außer mit Bildern – verständigen können, ebenso die Welt, konturieren sie und versetzen sie in Schwingung? Auf seine Musik trifft dies sowieso zu.
„Hans Reichel featuring Maurycy“ | Sparkassenforum am Islandufer | bis 23.11. | www.kunstportal.sparkasse-wuppertal.de
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