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Ohne Kopf und Beine

29. März 2012

Cornelius Völker stellt in der Von der Heydt-Kunsthalle aus - Wupperkunst 04/12

Die Ausstellung im Haus der Jugend ist ein reines Vergnügen – humorvoll, präzise, ernsthaft. Jedes dieser realistisch gemalten, figürlichen und dinglichen Bilder besitzt seine eigene Geschichte. Cornelius Völker streicht die Farbe in breiten Bahnen, so dass jedes einzelne Pinselhaar eine Spur zieht. Er setzt die Farbe als deutliche Substanz oder trägt sie plan und ohne Duktus auf, so dass sie distanziert wie ein Druck anmutet. Einmal wirken seine Bilder barock und nachlässig und lassen Farbspritzer stehen; dann wieder sind sie sachlich, kühl, diszipliniert. Die Malerei tastet ihre Motive ab, so dass es fast peinlich ist (erst recht, wenn sie Menschen in relativ intimen Situationen zeigt), oder sie behält die überschauende Perspektive.

Entsprechend vielfältig sind die Motive, denen Völker meist in Gruppen nachgeht. Einiges davon ist nun in der Ausstellung in der Kunsthalle in Barmen zu sehen. Da ist die Dame als frontaler Ausschnitt von Bluse und Rock; Müll, der auf die Straße geleert ist; eine überfahrene Taube; ein Mann mit nacktem Oberkörper; die braune Schokoladentafel; die vermatschte Himbeere; das entflammte Feuerzeug; ein Geschirrhandtuch; der Nabel mitten im Bauch und der Abfluss – also überwiegend Motive des Unattraktiven, nicht Beachteten im Alltag, gemalt in der Vereinzelung vor einem modulierten Farbgrund und als Bild nun entweder riesig oder sehr klein.

Das Interesse an „niederen“ Sujets unserer Tage und die wechselnde Art des malerischen Vortrags sind Programm bei Cornelius Völker, um Überlegungen zur Malerei, ihrer Repräsentanz und Präsenz, zum „Eigentlichen“ und zur Referenz aufzuwerfen. Der 1965 geborene Cornelius Völker gehört damit seit einem Jahrzehnt zu den wichtigsten Künstlern seiner Generation, gerade weil seine Malerei bei allem Können sich immer neuen Motiven öffnet und Risiken eingeht. Völker hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Dieter Krieg studiert, 1999 wurde er mit dem Bergischen Kunstpreis und 2004 mit dem Lingener Kunstpreis ausgezeichnet, seit 2005 lehrt er als Professor für Malerei an der Kunstakademie Münster; er lebt in Düsseldorf und New York und setzt sich an beiden Orten den unterschiedlichen Einflüssen aus. So sind auch Fotografien und Zeichnungen und Aquarelle entstanden, mit denen er Beobachtungen und spontane Ideen für die Bilder sofort festhalten kann. Der Sprung von Low zu High gelingt in seiner Malerei ansatzlos, ist aber auch sorgfältig vorbereitet. Gerade das Banale wird in seinen Bildern durch feine kunstgeschichtliche Zitate ins Absurde geführt, und hinter allem scheint die Frage auf, was Malerei mit ihren Traditionen heute bedeutet und was sie im 21. Jahrhundert noch leisten könnte. Und Realismus ist zugleich Abstraktion, ein Pinselstrich ist eben doch ein Pinselstrich.

Lecker und irritierend
Das kann man in Barmen schon am großformatigen Gemälde „Bücher“ (2008) studieren. In dem Bild liegen etliche geschlossene Bücher verschoben übereinander, mal sind uns die Seiten und mal die Rücken zugewandt. Völker hat den Seitenschnitt der Blätter als breiten Pinselstrich gegeben; die Umschläge ragen so heraus, dass sie teilweise die Seiten beschatten und so erst recht ein Zueinander an Farbnuancen vorliegt: als Summe abstrakter Malerei, der wir dann Begriffe und Sinn zuweisen. Indem der Bücherturm am unteren Bildrand einsetzt und tatsächlich riesig aufragt, gehen die Dimensionen verloren. Und weil der Hintergrund ein sachte sich verschiebendes Blau mit einem tiefen Horizont ist – und Völkers Bild damit vielleicht auf eine Werkgruppe seines Kollegen Dirk Skreber anspielt – könnte man sogar den Eindruck gewinnen, dies sei ein Hochhaus am Strand. Cornelius Völker hinterlässt aber auch seine eigenen Spuren im Bild; es könnten die eigenen Ausstellungskataloge übereinandergestapelt sein oder Bücher, mit denen er sich gerade beschäftigt.

2010 hat Cornelius Völker dann das querformatige Bild „Lola de Valence“ gemalt. Nun sind die Kunstbücher aufgeschlagen und lässig aufeinander abgelegt, wobei zwischen den Blättern gelbe und pinkfarbene Lesezeichen herausragen. Die aufgeklappten Seiten zeigen unterschiedliche Kunst; ganz oben ist das titelgebende figürliche Gemälde von Edouard Manet (1862) abgebildet – vielleicht kehrt etwas daraus dann in einem eigenen Bild von Cornelius Völker wieder. Völker ist jemand, der jedes seiner Motive genau auf seine Intentionen hin auswählt und auf die Eignung als Malerei abklopft. Dazu legt er dann die Fährten aus.

Die Ausstellung in Barmen setzt mit den „Schwimmern“ von 1994 ein, kleinen Querformaten, die schon das enthalten, was bis heute ein zentraler Aspekt in der Kunst von Cornelius Völker ist: Malerei ist hier aktiver Prozess, bei dem die Farbe als vermeintlich feuchte Materie augenblicklich zwischen reiner Farbmalerei und realistischer Schilderung wechselt. Zu sehen sind Menschen im Wasser, in dem sie sich, inmitten von farbigem Licht und farbigen Schatten auflösen und so teils eher in der Ahnung verbleiben. Immer sind doch wir es, die dem Illusionismus der Formen und Farben folgen.

Aber es gibt in der Ausstellung auch den ausgesprochen ereignislosen Fensterausschnitt als Bild. Das Fenster ist nicht (wie in der Kunstgeschichte verbreitet) von drinnen nach draußen, sondern von draußen gesehen, womit die heutige Tristesse von Hinterhöfen eingefangen wird. Das Fenster ist leicht nach innen geöffnet und wird vom vertikalen Steg überschnitten. Drei Teile der Bettwäsche hängen über den Fensterrahmen, überlagern sich dabei leicht. Das ist schon alles. Aber es ist großartig, wie Cornelius Völker hier verschiedene Stofflichkeiten und Oberflächen einfängt, etwa die Durchsichtigkeit der Glasscheibe malt und das Volumen der weißen und orangefarbenen Bezüge zum Ausdruck bringt. Völkers Ausstellung ist eine Sternstunde realistischer Malerei, gerade weil seine Kunst zugleich sinnlich und konzeptuell ausgefeilt ist.

„Cornelius Völker“ I bis 27. Mai in der Von der Heydt-Kunsthalle in Wuppertal-Barmen I www.von-der-heydt-kunsthalle.de

THOMAS HIRSCH

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