Längst gehört die Fotografie zu den „gängigen“ künstlerischen Medien. Sie wird in Kunstvereinen und Museen gleichberechtigt etwa neben Malerei und Objektkunst gezeigt und auch für die hauseigenen Sammlungen – und damit zum künftigen Ausstellen in der Öffentlichkeit – erworben. Natürlich überrascht kein bisschen, dass die Kunsthalle Barmen derzeit den fotografischen Bestand des Von der Heydt-Museums vorstellt. Erstaunlich ist jedoch, wie viele Künstler aus dieser Stadt vertreten sind. Fast könnte dies der Ausstellung einen regionalen Anstrich verleihen, der durch den altbackenen Titel „Experimenta“ noch geradezu forciert wird, zumal Fotografie in Zeiten von Netzkunst mitnichten „experimentell“ ist. Und weil der Anteil kleinformatiger schwarz-weißer Fotografien in der Ausstellung überproportional ist und die Rahmung ein Übriges tut, fühlen wir uns zunächst weit in die Vergangenheit versetzt. Aber so schlimm ist es dann doch nicht.
Zum Gelingen der Ausstellung tragen die klare Gliederung und die Qualität etlicher fotografischer Bilder bei. Im ersten Raum, der den Porträts in der Sammlung gewidmet ist, fällt der Blick auf die Stirnwand mit den Bildnissen von vierzehn Wuppertaler Persönlichkeiten, aufgenommen von Ingrid von Kruse. Es sind Charakterstudien, die eine sensible Balance zwischen Annäherung und Abstand halten und so über die genaue Beobachtung zum „Eigentlichen“ vordringen. Diese fotografische Leistung lässt die Frage vergessen, ob nicht der lokale Bezug der Porträtierten der Grund unserer Aufmerksamkeit ist. Innerhalb dieses Genres in der Ausstellung werden die Überlegungen zum künstlerischen Wert des Porträts weiter diskutiert, indem Menschen-Fotografien solcher Koryphäen wie Irving Penn, August Sander und Hugo Erfurth zu sehen sind, neben den Selbst-Psychogrammen von Wols. Wunderbar sind auch die Porträtstudien von Karl-Heinz W. Steckelings zu Pina Bausch. Traurig nur, dass Ute Klophaus fehlt (und es ist kein Trost, dass ihre Fotografien in der „Licht“-Ausstellung im Stammhaus in Elberfeld gezeigt werden).
Im zweiten Ausstellungsraum kommt die Farbe hinzu. Thema sind Fotografien, die sich mit Gebäuden, deren Teilen und den größeren Zusammenhängen beschäftigen. Architektur ist nicht nur das Sujet, sondern auch das Maß der Perspektive. Diese kann indirekt sein als Spiegelung in einer Pfütze (bei Christiane Möbus) oder in die Abstraktion getrieben sein wie bei Moholy-Nagy's steiler Sicht durch die Windungen eines Treppenhauses. Björn Überholz und Marie Luise Oertel wiederum fotografieren durch das Gerüst der Schwebebahn, die damit selbst zum Motiv der Aufnahme wird. Dann wieder ist Architektur im Verbund der Stadt zu sehen, etwa die Nordstadt Elberfeld mit den Augen von Rolf Löckmann. Also auch in diesem Ausstellungsraum: vielfach Heimatkunde, und man weiß nicht, ob das der Sache gut tut.
Auf die Fernsicht folgt im nächsten Raum die Nahsicht. Zu sehen sind Detailstrukturen und – damit verbunden – fotografische Experimente. Dominierendes Hängeprinzip ist die Serie, bei Peter Keetman, Karl Blossfeldt oder Man Ray. Das innere Zentrum der Ausstellung aber bildet der vierte Raum, der mit Michael Badura, Guido Jendritzko und Klaus Rinke drei wirklich wichtige Künstler mit engem Bezug zu Wuppertal vorstellt. Es sind kluge Entscheidungen, neben Rinkes phänomenaler Sequenz des Abzählens mit zehn Fingern Aufnahmen seiner damaligen Ehefrau Monika Baumgartl und von Jan Dibbets zu zeigen, die das Thema der Zeit aus verschiedenen Positionen heraus vertiefen, wobei das alles schon ein bisschen jüngste Kunstgeschichte ist. Erst im letzten Raum wird es in der Kunsthalle Barmen wirklich frisch. Farbe dominiert, die Formate sind größer als zuvor, das Gezeigte verblüfft und Landschaft ist mit den Mitteln von Perspektive, Vereinzelung und Licht entrückt. Auch die Printtechniken befinden sich nun auf dem aktuellen Stand. Mit den Bildern der drei Künstlerinnen Ursula Wevers, Bettina Pousttchi und Martha Laugs liegt hier auch die kraftvollste Abfolge der ganzen Schau vor – und die versöhnt dann endgültig mit der Ausstellung.
„Experimenta. Fotos aus der Von der Heydt-Sammlung“ | bis 13.8. | Von der Heydt-Kunsthalle Barmen | 0202 563 65 71
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