Die Barmer Ausstellung mit Driss Ouadahi ist eine echte Entdeckung. Schließlich muss man ansonsten weit fahren, um seine Bilder zu sehen. Seine „Hausgalerien“ befinden sich in San Francisco, Lissabon und Abu Dhabi. In Paris ist er derzeit in gleich zwei Gruppenausstellungen vertreten, eine davon ist (eingeladen von Kader Attia) im renommierten Palais de Tokyo. Eine weitere findet gerade in Algier statt, im Nationalmuseum für Kunst und Geschichte.
So sehr Driss Ouadahi mit seiner Kunst weltweit gefragt und in den Museen seiner Heimat Algerien präsent ist, so unbekannt ist er in Deutschland, wo er seit dreißig Jahren lebt. Es ist also verdienstvoll, dass die Kunsthalle in Barmen, auf Initiative und kuratiert von Beate Eickhoff, nun einen Überblick über seine Malerei der letzten zehn Jahre zeigt und diese durch einige Werke anderer Künstler in ihrer Internationalität und Aktualität verdeutlicht: als Statement gegen Strategien der Ausgrenzung und des Rassismus und als Plädoyer für eine achtsame Gestaltung des öffentlichen Raums. Die Architektur erweist sich dabei als Ouadahis zentrales Sujet. Sie liegt unmittelbar bei seinen Gemälden von Stadtlandschaften vor, in denen im Vordergrund Rohbauten den Blick verstellen und ihn doch mit ihren gleichförmigen Rastern in die Tiefe zum glühend pulsierenden Städtischen hin ziehen. Daneben hat er seit Mitte der 2000er Jahre Gemälde mit Zäunen, die im Vordergrund einen weiten blauen oder schwarzen Landschaftsraum versperren, sowie mit den Korridoren von Unterführungen geschaffen. Er habe eigentlich nur das zeigen wollen, was die Großstädte überall auf der Welt kennzeichnet, sagt Ouadahi im Atelier in Düsseldorf. Es wäre ihm um ein Konstatieren der Uniformität gegangen. Wichtig ist ihm das Nüchterne seiner Bestandsaufnahmen, dazu malt er etwa die Schlaufen der Netze und die Kacheln der Unterführungen im Vordergrund im Originalformat. Und er rekapituliert mitunter reale urbane Situationen.
Driss Ouadahi wurde 1959 in Casablanca geboren. In Algerien wächst er in den Bergen auf und lernt die Wüste mit der Weite der Landschaft kennen. Zwar studiert er zunächst Architektur, interessiert sich aber schon da mehr für die Malerei. Daraus wird eine Profession, als er 1988 an die Düsseldorfer Kunstakademie in die Klasse von Michael Buthe wechselt. Hier löst er sich nach und nach von der ornamentalen Malerei, die für ihn zunächst Ausdruck eigener kultureller Identität war, hin zu einer Farbfeldmalerei, die aber von der Tonalität der Lehmbauten in Algerien und dem südlichen Licht geprägt bleibt. Er tastet diese Fassaden im Ausschnitt ab. Mitte der 2000er Jahre tritt er einige Schritte zurück und verdeutlicht die Gleichförmigkeit der Mietskasernen. Die Frage nach dem sozialen Wohnungsbau als dringliches Problem der Großstädte nimmt nun eine zentrale Rolle ein. In Algier und später in Paris hat Ouadahi in den Banlieues erfahren, wie Architektur als Machtinstrument benutzt wird und der Ausgrenzung dient. Und er hat in Algier beobachtet, wie Spekulanten Plattenbauten begonnen und die Rohbauten dann verlassen haben. Diese Fragilität des Baulichen ist seinen Gemälden bei aller farbigen Feinheit und faszinierenden Nuancierung ganz direkt eingeschrieben. Die Fächer, die in die Bildtiefe klappen, haben in ihrem leeren Kontinuum etwas Unerbittliches. Ihre Stege besitzen Farbspritzer, die noch Brüchigkeit zum Ausdruck bringen.
Ouadahi zeigt in Barmen auch eine Wandmalerei, Fotoarbeiten und, als Film, eine neuere Performance, welche sich auf die aktuellen Migrationsbewegungen bezieht. In der Zusammenarbeit ist es wichtig, auch das Bett von Kader Attia zu betrachten, das aus Stahlketten besteht. Mounir Fatmi ist mit einer raumgreifenden Installation zu 9/11 vertreten, die im Aufeinanderprallen der Kulturen den symbolischen Wert von Architektur betont. Weitere Beiträge kommen von Susan Hefuna, Saâdane Afif, Mona Hatoum und Tamara K.E.: Gemeinsam vermitteln sie aktuelle Fragestellungen gesellschaftlicher Gefährdung, die das assoziative Potential der Kunst von Driss Ouadahi unterstreichen.
Driss Ouadahi – Systeme der Abgrenzung. Mit Beiträgen weiterer Künstler | bis 6.5. | Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal-Barmen | www.von-der-heydt-kunsthalle.de
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