Der erste Raum der Ausstellung von Tobias Zielony in der Von der Heydt-Kunsthalle ist superwichtig. Die im Dunkeln fast stroboskopisch animierte Projektion ineinander verzahnter Erzählstränge schildert die queere Techno-Szene Kiews wahrscheinlich ziemlich authentisch. Sie zeigt das Zusammentreffen von schierer Party und militärischer Gewalt, halluzinatorischem Abtauchen und glasklarer Erfassung. Vermittelt wird die zerbrechliche Artikulation einer heranwachsenden Generation zu Zeiten der russischen Besatzung, also im Unwissen, was der nächste Tag bringen könnte.
Demgegenüber sind die drei anschließenden Ausstellungsräume, in denen mittelformatige Farbfotos in Reih und Glied hängen, der Resonanzraum für die Analyse. Die Fotografie selbst ist in ihrer sorgfältigen Komposition, die immer einen Schritt auf Abstand bleibt, also die Kontrolle nie abgibt, ausgesprochen diszipliniert. Aber mit ihrer Farbintensität und den wechselnden Temperierungen sind wirklich eindrucksvolle Bilder entstanden; viele zeigen brillante Porträts. Die Gesichter besitzen etwas Unschuldiges und doch sind ihnen Persönlichkeit und Emotionalität eingeschrieben, wenn sie nicht durch Maskierungen verborgen sind. Die Gesten wirken bisweilen verkrampft; die Accessoires aber sind kalkuliert, ausgerichtet an westlichen Modetrends. Zielonys fotografische Bilder erzählen Geschichten von individueller Erfahrung und vielstimmigem Austausch; immer wieder klingen Momente von Einsamkeit an. Insgesamt dokumentarisch, kommen die Aufnahmen dem Wesen der Protagonisten sehr nahe. Wie sehr dies der Anspruch von Zielony ist, zeigt sich noch daran, dass er im Katalog Interviews mit den Szenegängern, auch aus Respekt vor diesen, abgedruckt hat. Die Interview-Form sei ein durchgehendes Verfahren in seinen Katalogen, sagt Zielony im Gespräch.
Zielony wurde 1973 in Wuppertal geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Heute lebt er in Berlin. Er hat an der University of Wales in Newport und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er 2015 mit seinem Beitrag im Deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig bekannt. Sein Werk, das mit Fotografie und seit einem Jahrzehnt auch mit Film entsteht, handelt von Randgruppen, die von der Gesellschaft als Außenseiter verstanden werden. Er sucht sie an ihren Orten auf. Zielonys Beiträge dokumentieren den Ausnahmezustand sozusagen in Echtzeit. Seine Akteure sind Halbstarke in Ostdeutschland, die er in der Techno-Szene und zwischen Plattenbausiedlung und U-Bahn-Station zeigt, und die Armutsprostituierten auf dem Straßenstrich und die Bewohner der maroden Hochhausbauten im Kriminalitätsbrennpunkt in Turin. Immer teilt sich auch etwas vom Zustand der heutigen Zivilisation mit, in der solche Parallelgesellschaften entstehen können.
Das aktuelle, in Wuppertal erstmals vorgestellte Projekt widmet sich also der queeren Community in Kiew. Auch hier stehen die Menschen als Einzelne im Zentrum. Phasen der Erschöpfung und der Konzentration wechseln sich ab, insgesamt dominiert eine große Gefasstheit der fotografierten Personen. Das Licht ist atmosphärisch eingesetzt und verweist auf die Nacht als Handlungszeit. Kaum etwas ist von der Stadt zu sehen, stattdessen ereignen sich die Szenen an der Peripherie. Die Akteure befinden sich, rauchend auf dem Balkon oder ganz im Interieur, das barock ausfallen kann. Hier, wo es noch um die geschlechtliche Identität geht, wird besonders deutlich, dass Zielonys Projekte immer auch um Zugehörigkeit und das Ausbilden einer Gemeinschaft kreisen. Auch deshalb ist für die Ausstellung der abschließende fünfte Raum wichtig, für den Zielony sein Archiv nicht-publizierter früher Fotografien und Filme durchforstet hat. Natürlich teilen die dort projizierten Dia-Bilder noch viel über seinen fotografischen Blick mit: Sie sind präzise visuelle Untersuchungen zur sozialen Identität Deutschlands zwischen urbaner Architektur und der Schaffung von Ersatzräumen. Es geht um Heimat und ein Sich-Zurechtfinden in einer vorgegebenen, aufgezwungenen Welt.
Tobias Zielony. Haus der Jugend | bis 14.1. | Von der Heydt-Kunsthalle in Barmen | www.von-der-heydt-kunsthalle.de
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