Eine hölzerne Kiste, eine matte Glasscheibe, etwas Licht und doch zusammen Teil einer schleichenden Revolution, die die Gesellschaften der Welt bis heute verändert. Der Fernseher, die Glotze, die Flimmerkiste, der Flachbildschirm, zuerst auch Fernsehempfänger, dann gern auch neudeutsch ein TV. Das Bonner Kunstmuseum zeigt jetzt Schlüsselwerke, die das neue Medium seit Anfang der 1960er Jahre in der internationalen Kunstszene hervorbrachte und die Ausstellung „TeleGen – Kunst und Fernsehen“ zeigt auch was bis heute darunter subsumiert wird – und das ist nicht unbedingt reine Medienkunst, sondern auch das „Prinzip Fernsehen“ als brüchiger Mörtel oder einfacher Stein des Anstoßes.
Zumindest war es das für den US-Amerikaner Joe Biel, dessen zeichnerische Arbeit „Veil“ gleich am Anfang unter der Überschrift „Das elektronische Lagerfeuer“ zu sehen ist. Nun, die Papierarbeit ist fast vier Meter breit und eineinhalb Meter hoch (Wasserfarbe und Gouche, 2010-2015) und zeigt gerade mal 1124 Bildschirme mit eingefrorenen Szenen, die Biel im Fernseher ausgewählt hat. Eine ungeheure Fleißarbeit, die auch dem überaus flüchtigen Medium etwas Pinselfestes entgegensetzen will. Nach dieser geradezu noch feuchten Arbeit sollte man sich vielleicht erst einmal ins Zentrum der Übersichtsschau wenden, um dort unter „Once Upon a Time“ die Helden der ersten Stunde zu bewundern, denn dieser eigentlich nur fünf Jahre umfassende Teil ist der umfangreichste und eigentlich auch der spannendste. Hier ist der einzige Mitschnitt von John Cages Live-Soundperformance „Water Walk“ von 1959 (!) im US-TV zu sehen, hier steht der erste mit Nägeln malträtierte Fernseher von Günther Uecker („TV“, 1963), hier findet der Besucher wegweisendes von Lee Friedländer, Karl Gerstner oder Wolf Vostell und Andy Warhol. Nicht vergessen sollte man: unbedingt bei Nam June Paik in die Mikros flöten, das ist ein TV-Experiment von 1969 (manipulierte Fernsehgeräte bei „Exposition of Music“, Rekonstruktionen von 1995). Es passiert eigentlich nicht viel und ist nur schwarz weiß, aber dennoch war die Wirkung damals enorm.
„Ich hab heute leider kein Foto für dich.“ Dieser Satz verfolgt einen durch die Rubrik „TV Victims“. Warum? Keine Ahnung. Aber woher der Spruch kommt, das findet man heraus. Ein sich an Ketten drehender Monitor mit dem roten Mund-Intro der „Rocky Horror Picture Show“. Der kleine Bildschirm ist der Beweis für eine grandiose Selbstkasteiung, bei der sich der Leipziger Medienkünstler Stefan Hurtig sechs Jahre lang Heidi Klums Topmodel-Show angesehen hat, um immer den Klumschen Todessatz für Kandidatinnen: „Ich habe heute leider kein Foto für dich“, aufzunehmen und alle nun als Endlosschleife hintereinander abzuspielen. Das ist wahre Aufopferung, die noch wahrgenommen wird. Wie schnell sich das ändern kann, zeigen die sieben Fernseher von Ulrich Polsters „Report“ (7-Kanal-Video, 1:22 min. Loop, 2015). Er hat Nachrichten-Bilder vom Zerfall Jugoslawiens und dem anschließenden Bürgerkrieg aus Original-Tagesschauaufnahmen gefiltert und will so zeigen, wie kurz die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist, trotz der Brutalität der gezeigten Bilder. Heute haben die Aufnahmen einen schrecklich neutralen „Historismus“.
„TeleGen – Kunst und Fernsehen“ | bis 17.1. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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