Eine Paradies für die Skulptur nach 1945 ist der Skulpturenpark Waldfrieden. Hier teilt Tony Cragg, Kurator, selbst renommierter Bildhauer sowie Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, die bildhauerischen Positionen mit der Öffentlichkeit, die er sehen möchte und sich großzügig leistet. Sein Geschmack ist exquisit und kenntnisreich. Und so kommt es, dass wir hier, noch bis Anfang Juni, goldglänzende kitschig mimetische Kleinplastiken des belgischen Künstlers und Choreographen Jan Fabre betrachten können, erst erschrecken und dann über die Vielschichtigkeit dieser teils grotesken, teils morbiden Erfindungen staunen. Und dass ab Ende Juni mit William Tucker ein völlig anderer Bildhauer ausstellt, einer älteren Generation zugehörig und in seinem Werk sichtlich anders geprägt als Jan Fabre.
William Tucker – der Name lässt aufhorchen. Ist das nicht einer der Pioniere der neueren abstrakten Skulptur in Europa, berühmt zudem für sein Buch „The Language of Sculpture“? Also einer der stilbildenden britischen Bildhauer vor allem in den 1960er und 1970er Jahren? Wann gab es zuletzt etwas von dem in Amerika lebenden Tucker in Deutschland zu sehen?
Geboren 1935 in Kairo als Kind englischer Eltern gehörte Tucker nach seinem Studium an der Londoner St. Martin's School of Art bei Anthony Caro zur „New Generation“, die sozusagen als britische Antwort auf die US-amerikanische Minimal Art zu verstehen war. Philip King, Tim Scott und eben William Tucker waren die Protagonisten. Sie erstellten teils riesengroße, volumetrische farbige Objekte aus Kunststoff, Holz oder Stahl, die mit geschwungenen, sukzessive sich verjüngenden Formen den Realraum eroberten und ihn sozusagen definierten. In der Folge reduzierten diese Künstler die skulpturalen Formen auf nüchtern lineare Konstruktionen. Und wie seine Kollegen wurde Tucker damit nicht nur in Europa (und besonders Deutschland) bekannt, sondern auch in Übersee. Er unterrichtete an Universitäten in Kanada, ehe er 1978 nach New York, u.a. an die Columbia University, berufen wurde. In diese Zeit fällt auch der radikale Wandel in seinem Werk. Seit den 1980er Jahren arbeitet Tucker mit dem traditionsreichen Bronzeguss sozusagen materialgerecht. Er modelliert amorphe Figurationen, die er mit unterschiedlichen Patinierungen versieht. Sind zunächst Pferdeköpfe oder Körperfragmente zu sehen, so wird seine Kunst zunehmend abstrakter bis hin zu ungefügen Brocken. Trotzdem bewahrt Tucker die Referenz an eine figürliche Idee, also wir sehen hier zugleich den Prozess der Erinnerung und der Lossagung von ihr. Mitunter sind seine Skulpturen über 2 Meter hoch und orientieren sich im spitzen Aufragen weiter in die Höhe. Dabei treten diese massigen Monolithen als Gegenüber auf, mit jedem Schritt sehen sie anders aus, lassen sich folglich nie ganz erfahren. Tuckers Skulpturen sind sinnliche Erfahrungen und doch plastische Konzepte. Auch damit bestätigt sich Tucker als wichtiger Grenzgänger zwischen Figuration und Abstraktion – in Wuppertal sind seine Bronzen im Pavillon von drinnen und draußen zu sehen, in der Landschaft umgeben von den Werken seiner Kollegen. Unbedingt anschauen!
„William Tucker“I 29.6.-1.9. I Skulpturenpark Waldfrieden I www.skulpturenpark-waldfrieden.de
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