engels: Frau Degot, muss die Kunstwelt jenseits der Märkte immer politisch sein?
Ekaterina Degot: Ja, daran sind wir interessiert. Es gibt auch Institutionen, die anders denken. Aber das ist eben unsere Position. Ich würde nicht sagen, dass Kunst irgendwas muss. Politik ist etwas, dass unsere Mitglieder, die ganze Akademie und mich interessiert. Die Kunst im globalen Kontext ist heute natürlich immer politisch. Aber nicht im primitiven Sinne, soll heißen: Es gibt keine Deklarationen, keine Slogans, sondern sie ist oft eine Art Rechercheprojekt, bedingt Philosophie, Soziologie, aber immer im künstlerischen Sinne. Dazu ist sie sehr, sehr komplex geworden.
Auch die Akademie bewegt sich jenseits der traditionellen Kunstmärkte?
Wir sind eine Nonprofit-Institution. Das heißt wir haben mit dem Markt überhaupt nichts zu tun. Wir orientieren uns auch nicht danach und können es uns leisten, darüber nichts zu wissen. Aber als eine Kunsthistorikerin muss ich sagen, mit dem Begriff Kunstmarkt macht man es sich ein bisschen einfach, der ist heute wesentlich komplexer geworden. Da sind nicht mehr nur Galerien und Messen, wo Produkte verkauft werden. Die Kunstwelt ist heute eher das große weltweite System von Biennalen und großen Ausstellungsprojekten. Das ist eigentlich der wichtigste Kontext für Kunst heute. Markt ist auch hier, aber ich würde sagen, er ist eher marginal.
Warum gibt es die Akademie der Künste der Welt ausgerechnet in Köln?
Weil Köln eine sehr interessante Stadt ist, die sozusagen das Westliche mit dem Realen kombiniert. Es ist eine westliche Stadt im Sinne der Kultur des Kalten Krieges, sie hat eine große Rolle in diesem Sinne gespielt. Jetzt hat sich sehr viel verändert. Heute ist es eine Stadt, wo viele Migranten leben. Das finde ich sehr interessant, sehr positiv, sehr bunt. Vielleicht ist das jetzt der Ort, um im Herzen des Westens auch über globale Kultur zu sprechen.
Braucht Kunst heute die virtuelle Welt?
Ja, es gibt halt sowas wie Internet. Und wir haben auch unsere Website. Das ist für uns sehr wichtig, dass Menschen weltweit über unsere Aktivitäten lesen können. Aber das ist kein künstlerisches Projekt.
Das System Internet ist also auch ein Expansionsfaktor für Kunst?
Das ist noch unklar. Ich habe Studenten überall auf der Welt und die wollen immer ins Internet, aber wissen nicht genau, was sie dort machen wollen. Sich bekannter zu machen, das ist dort natürlich möglich. Aber für die Künstlerprojekte, die nur das Internet und nicht etwa eine Galerie oder Ausstellungshalle als Veranstaltungsort haben, ist es bis jetzt ein bisschen problematisch. Es hat noch nicht richtig geklappt, obwohl es viele junge Künstler gibt, die darüber nachdenken. Ich bin dafür vielleicht zu alt und weiß es nicht.
Was ist für Künstlerinnen und Künstler besser: Der Käfig im Zoo oder künstlerisches Varieté?
Das stammt aus unserem Kafka-Projekt. Aber ich würde sagen, im Zoo ist man immer passiv und im Varieté ist man eher ein Performer. Sehr viele unserer Künstler arbeiten im Performance-Genre, von Musik über Theater, visuelle Kunst: Sie alle machen jetzt Performance.
Und leben kann man vom Varieté auch besser?
Das ist eine sehr interessante Frage. Es sieht so aus, ja. Wenn man Kunstwerke nicht verkaufen kann, dann kann man immerhin eine Rede verkaufen oder eine Performance. Das ist vielleicht der neue Weg der Kunst.
Die zweite Pluriversale findet im Frühling statt. Was kann man da erwarten?
Wir haben eine Ausschreibung für Kölner Künstler gemacht und wir haben auch einige gefunden, mit denen wir an unserem eigenen Ort arbeiten wollen. In erster Linie kann man in diesem Jahr einen neuen Ort für die Akademie der Künste erwarten. Wir renovieren jetzt gerade einen Ort in der Nähe des Friesenplatzes. Das wird ein kleiner Ort für Diskussionen, aber auch Ausstellungen, vielleicht Konzerte. Wir haben beispielsweise Sina Seifee dabei, der ist iranischer Herkunft und er wird Performances machen. Es ist auch ein Workshop geplant zum Thema Performance und Tanz, von Lili M. Rampre in Kooperation mit der Hochschule für Tanz und Musik. Und natürlich „Conflict Music“, das audiovisuelle Projekt von Christian von Borries im Rahmen des Acht Brücken Festival am 10. Mai. Das ist ein Konzert zwischen Beethoven und Zarah Leander. Dabei sind auch Musiker per Skype, die aus anderen Ländern dazu geschaltet werden. Ein Projekt um kriegerische Auseinandersetzung und friedliche Koexistenz. Eröffnen werden wir die zweite Pluriversale voraussichtlich mit einem Projekt im Kunsthaus Rhenania im April.
Kunst und weltweiter Terrorismus. Nur Fragen, keine Antworten?
Im Prinzip sollte Kunst nicht nur Fragen stellen. Aber diese Frage ist zu kompliziert. Man muss von Kunst nicht zu viel erwarten. Kunst kann interessante Sachen machen, viel denken, stimulieren. Aber Antworten auf solche schwierigen Fragen können wir nicht geben.
Vielleicht entwickelt sich weltweiter Terrorismus in ein neues Orgien-Mysterien-Theater à la Hermann Nitsch oder Aktionskunst eines Otto Muehl.
Diese Leute wissen etwas darüber, da bin ich mir sicher. Vielleicht nicht im Sinne von Hermann Nitsch, aber grundsätzlich würde ich sagen, dass die heutige Welt sehr mit Kunst durchzogen ist. Im Prinzip machen diese al-Qaida-Terroristen auch Video-Performances. Das ist visuell erst einmal sehr nahe an Kunst. Aber richtige Künstler arbeiten eher mit diesen Formen, um sie dabei kritisch zu dekonstruieren. Das wäre aber ein sehr interessantes Thema für ein Gespräch.
Im Rahmen der Art Cologne veranstaltet die Akademie am 16.4. einen Nachmittag zum Thema „Beyond Global Curating“. International prominente Kuratoren setzen sich mit der Frage nach Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Globalisierung der Kunstwelt auseinander.
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