Ein Beschreiben dieser Bilder in buchstäblicher Übersetzung des Sehens, parallel zur Malerei, weil diese selbst „im Fluss“ ist: Vor allem Kirsten Voigt versucht in ihrem Katalogbeitrag, die abstrakte Malerei von Tatjana Valsang auf diese Weise zu begreifen. „Dünne Membrane, zerfasernd, Schwaden, rissig, verweht“, schreibt sie beispielsweise. „Das Aufreißen hauchdünner Schichten.“ Vielleicht bringt es der Titel ihres Artikels auf den Punkt: „Eine Malerei der Prädikate“.
Die Bilder von Tatjana Valsang, die jetzt in der Kunsthalle Barmen ausgestellt sind, fangen malerisches Geschehen als Zustand vor jeder Verfestigung ein. Andererseits sind die einzelnen Partien im Bild ausgearbeitet, in Form gesetzt. Am Medium – der Malerei – besteht kein Zweifel, meist ist der Pinselstrich zu erkennen, wobei Tatjana Valsang die Klaviatur der handwerklichen Möglichkeiten beherrscht. Aber das spielt keine Rolle vor diesen meist überlebensgroßen Leinwänden, die sowohl Nahsicht als auch Fernsicht offerieren.
Ist das die Perspektive durch ein Mikroskop oder auf unruhig auslaufende Schleier im direkten Gegenüber, und handelt es sich, in anderen Bildern, um den Blick durch ein bewegtes Gewässer bis auf den Grund, dort wo Steine und Pflanzen ihre Schatten werfen? Immer wieder stellen sich Assoziationen zur Natur wie auch zu textilen Strukturen ein, generell zu einer transparenten Hülle. Aber das sind natürlich nur Hilfen für das Schauen. Tatjana Valsang erfindet aus der Malerei heraus ein Geschehen analog zu naturhaften Vorgängen, löst sich von all dem und lässt uns ratlos, aber auch berauscht und auf elegische Weise berührt allein. Hier sind Stimmungen und Atmosphären geschildert als Erinnerung an Gesten, wie sie sich etwa im Tanz einstellen könnten, an Situationen von Anmut und Aufmerksamkeit, welche sich nicht mit Worten beschreiben lassen. Von denen man allenfalls eine Ahnung durch eine Malerei vermitteln kann, die zart, feingliedrig und zugleich bestimmt sein muss. „Es geht um Farben“, ergänzt Tatjana Valsang im Atelier – eine Feststellung, die auf alle ihre Bilder zutrifft.
Draußen, auf der Friedrich-Engels-Allee, rauscht der Verkehr laut, unruhig und ununterbrochen; im Atelier herrscht absolute Stille. Die Fenster auf der anderen Seite schauen zur Schwebebahn mit der Wupper darunter. Tatjana Valsang malt am Tag, ansonsten stehen Tageslicht-Lampen bereit. Die Leinwände liegen beim Malen auf dem Boden. Sie trägt die Acrylfarbe von allen Seiten mit breiten Bürsten und Pinseln an langen Stielen auf. Sie nimmt Abstand und widmet sich den Bildern – nach der Trocknungsphase – erneut, schichtenweise. Ideen werden wieder aufgegriffen, führen zu neuen Erkenntnissen. Natürlich lassen sich einzelne Werkgruppen unterscheiden, beruhend auf konstitutiven Prinzipien, die variiert und kombiniert sind. Schließlich entstehen Bildereignisse, die man noch nie gesehen hat.
Nichts als Malerei
Geht das überhaupt, diese Malerei, die nichts außer ihrem Farbauftrag zeigt, zu beschreiben? Im Bild „Schlupfzeit“ finden sich einzelne amorphe Partikel als ausgreifende Partien und wie Inselchen aus China-Papier. Das Geschehen ist mit einer horizontalen Fließbewegung unterlegt, unten zersplittert ein Tropfen sternförmig; die beiden oberen Formen, die in das Bild hineinragen, überschwemmen die helle, fast weiße Fläche; an den unteren Ecken deutet sich ein ähnliches Spiel an. Mit einem Mal wird klar, wie genau das Bild angelegt ist, dass es Zentrum und Peripherie vor Augen führt, dabei positiv und negativ umschlagen und schließlich offen ist, welche Schicht sich überhaupt behauptet. Ganz in der Mitte, nur um wenige Zentimeter versetzt und selbst löchrig und faserig, kippt ein Stück nach unten weg. Nass in nass tauchen in den lavierten hellbraunen Spuren rote Schlieren auf, werden an anderen Stellen aufgegriffen und zu regelmäßigen Bändern, dazwischen leuchtet Weiß, wie Licht aus der Tiefe.
Die Nuance im Detail ist mit der Großzügigkeit gekoppelt, die jedes Gefühl für die Dimensionen relativ werden lässt. Kontinente driften auseinander, und hinter dem Zarten bricht sich plötzlich eine Entschiedenheit Bahn, als Teil eines Kreislaufs – eine Sichtweise, natürlich gibt es noch weitere ... Andere Bilder wieder verstärken die Idee des Faltenwurfs; die Farbstreifen verlaufen über die Bauschungen hinweg, zugleich wirkt das Geschehen plastisch. Breite dunkle Umrandungen suggerieren Verschattungen und damit ein räumliches Übereinander. Und in neueren Bildern schließen amorphe monochrome Felder wie in der Spiegelung aneinander an, kleinere Partien verhalten sich zudem paarweise zueinander, der Grund ist pastellfarben aufgehellt.
Die Kunsthalle in Barmen zeigt nun Bilder der Jahre 2009 bis 2012 – eine seltene Gelegenheit, dieses Werk kennenzulernen. Denn erst in den letzten Jahren tritt Tatjana Valsang mit Ausstellungen an die Öffentlichkeit, in Düsseldorf und Berlin bei der renommierten Galerie Fischer. Dabei malt Tatjana Valsang, die 1963 geboren wurde, kontinuierlich seit ihrem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie. Zumal am Anfang bezieht sie sich auf Sujets aus der Natur, sie löst sich freilich schon da von allen vordergründigen Bezügen, indem die Motive im expressiven Malgestus abstrahiert werden.
Zeitweilig finden sich Verfahren des Wachsens und Strömens, mit Knospen und Blättern als Motiven. Aber alles wird mehr und mehr frei verstanden. Da sind, erst recht in den neueren Bildern, die subtilen Abweichungen vom Formverlauf, das abrupte Stoppen des Pinselgestus. Das Ortlose der Formationen. Farbwellen, die unter Flächen verschwinden. Die Brechung der Farben, die jedoch luftig wirken, leichthin ... Eine solche Malerei der verbindlichen Möglichkeiten schärft für das Sehen und dafür, sich aufmerksamer den Kleinigkeiten unseres Alltags zuzuwenden – im Vertrauen auf die Zusammenhänge.
„Tatjana Valsang – Archipel“ I bis 30.6. I Von der Heydt-Kunsthalle Barmen I www.von-der-heydt-kunsthalle.de
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