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Stufen vor der Tür

26. Juli 2012

Die Von der Heydt-Kunsthalle zeigt die Malerei von Christian Hellmich – Wupperkunst 08/12

Am stärksten ist Christian Hellmich im großen Format. Eine Wucht ist das Gemälde „Treppe III“ aus dem Jahr 2007, das sich als Leihgabe im Von der Heydt-Museum befindet und dort schon früher ausgestellt wurde: Erst mit Abstand sind die präzise gezogenen Raster als gekachelte Stufen zu identifizieren, die zu einem Hauseingang hoch führen; sie nehmen nun illusionistischen Charakter an. Plötzlich aber gewinnt im Vordergrund das Mäuerchen mit dem Geländer eine enorme Dynamik und verwandelt sich geradezu zu einem Wesen, das auf dem Sprung ist, und wird doch wieder durch die riesige olivgrüne Wandfläche gestoppt. Irritierend ist auch, dass sich das Geländer abgewandt von der Treppe befindet. Die Empfindung von Realität und die reine Malerei prallen aufeinander, und es wirkt, als seien über der Malerei Fotoschnipsel collagiert und diese sodann durch die sorgfältige malerische Anlage von Schatten wieder verstärkt. Der Boden wirkt weich und unfest, so dass die Stufen, die sich über die verschiedenen Konsistenzen legen, zu schweben beginnen. Zugleich schiebt sich eine delikat blaue Pinselspur um das Mäuerchen und bestätigt die architektonische Räumlichkeit und entlarvt sie doch zugleich als Erfindung. Trotzdem, denken wir uns nicht lieber in die bürgerliche Welt der Vorgärten ein?

Spuren von Ornament
Christian Hellmich zersetzt Gegenständlichkeit und nimmt sich dazu unseres Vorstellungsvermögens an, dort wo dieses zu Hause ist. In seinen Bildern spielen meist alltägliche Dinge eine Rolle, oft Konstruktionen, die mit Architektur zu tun haben, Raumsituationen, die er nun sozusagen faltet und in eine andere Richtung umlenkt. Und er fügt Versatzstücke der Wirklichkeit zusammen und zeigt dann doch wieder, in anderen Bildern, kontinuierliche, sofort beschreibbare Situationen. Dort lassen sich dann erst allmählich Störungen ausmachen. Dazu praktiziert Hellmich eine raffiniert virtuose Malerei. Diese ist attraktiv, überaus stofflich und erlebnisgesättigt. Als Oberfläche aus etlichen Schichten schiebt sie sich um die Kanten und lässt diese mitunter leicht ausfransen. Christian Hellmich bevorzugt pastellfarbene matte Töne, häufig handelt es sich um Braun und Grün sowie Grau, wobei sich immer wieder der Eindruck von Sperrholz, Backsteinen und Linoleum einstellt, zudem Kacheln und ornamentale Hintergründe vorkommen, die unser Behaustsein in den 1980er Jahren anklingen lassen, als Hellmich aufwuchs und wesentliche Prägungen erfuhr.

Christian Hellmich, der 1977 in Düsseldorf geboren wurde, an der Folkwangschule in Essen studiert hat und in Berlin lebt, erfüllt so ziemlich alles, was seit einigen Jahren an malerischer Finesse gefragt ist. Dies betrifft noch die Emaille-artigen, aufgerissenen Farbflächen mit geraden Rändern, welche durch Abklebungen entstanden sind. Farbnasen und Kleckse sind in das Bildgeschehen einbezogen, schon sie wirken als Desillusionierung aller Erinnerungen, hinzu kommen die sichtlichen Korrekturvorgänge und die tieferen Farbschichten, die durchscheinen. Die Oberfläche ist stumpf, der Gestus ist unterdrückt. Aber bei einzelnen Bildern erzeugt der getupfte Auftrag eine teerartige, nun glänzende Textur, die selbst als applizierte Fläche wirkt.

Christian Hellmich baut seine Darstellungen, unsere Dingwelt wird zum Baukasten seiner Gemälde, und aus der Dekonstruktion konstruiert er seine Bilder. Er treibt die Zerlegung des Gegenständlichen so weit, dass wir es gerade noch als Vorgeschichte und Idee begreifen. Dazu aktiviert er den Bildraum selbst. Die Perspektive wechselt, Linien fluchten in die Tiefe, Flächen kippen vor unseren Augen in den Grund, bauen sich vor uns auf und wirken unabsehbar riesig. Verläufe knicken ab, dann sind mitten im Vordergrund langgezogene gerundete Körper platziert, die sich zwischen Designform und geometrisch abstrakter Farbfläche verhalten. Für Hellmich ist alles möglich, gleichberechtigt kombiniert er herkömmliche urbane Einrichtung, heutigen Alltag und etwa die plakativen Abbildungen von Werbeprospekten miteinander. Er greift in den vorbeirauschenden Informationsfluss extrahierend und fragmentierend ein. „Es ist Malerei im digitalen Zeitalter, die sich aber weniger von einer 'digitalen Ästhetik' inspirieren lässt als von einem Lebensgefühl, das von der Virtualität digitaler Bildwelten mitbestimmt ist“, schreibt Ludwig Seyfarth im Katalog. Nichts ist mehr sicher, es gibt keine Grenzen und keinen festen Boden, aber alles dreht sich viel schneller, und das Verführerische bleibt. Ein Schlüsselbild der Ausstellung in Barmen zeigt vor einem hellgrünen, extrem malerischen Grund eine Discokugel, die aus pastellfarbenen, sich leicht überlagernden Plättchen zusammengefügt ist, in denen das Licht reflektiert. Es gibt keine homogene, verbindliche Sicht mehr; die Splitter der Wirklichkeit stehen zur Verfügung – und an diesem Punkt setzen die malerischen Verfahren von Christian Hellmich an. Seine Malerei vergegenwärtigt die Einsamkeit des Sehens und deutet an, was alles zwischen Sehen und Begreifen, Assoziieren, Glauben, Aneignen und Auslegen passiert … Mit dieser Ausstellung, die Christian Hellmich erstmals im musealen Kontext vorstellt, ja entdeckt, befindet sich die Kunsthalle Barmen auf dem rechten Weg. In Fortsetzung der hervorragenden Ausstellung von Cornelius Völker gleicht jetzt die von Beate Eickhoff kuratierte Schau weiter das aus, was zum Jahreswechsel die grottenschlechte, fremdkuratierte „Dead_lines“-Präsentation in Barmen an Unbehagen hinterlassen hat. Wenn das Von der Heydt-Museum es mit den eigenen Mitarbeitern macht, dann wird es gut!

„Christian Hellmich“ I bis 7. Oktober I Von der Heydt-Kunsthalle Barmen I www.von-der-heydt-kunsthalle.de


THOMAS HIRSCH

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