Ein Bündel grundsätzlicher Fragen steht am Anfang dieser Ausstellung in Solingen: Ist das Pferd heute noch als Motiv und Thema für die Kunst „tauglich“, oder ist es als bildnerischer Gegenstand nicht überholt und Relikt der Vergangenheit? Findet es sich im öffentlichen Raum nur noch in Form althergebrachter Reiterstandbilder in dienender Funktion, und welche Rolle spielt das Pferd überhaupt in unserer modernen Gesellschaft? Die Wuppertaler Kunstwissenschaftlerin Marlene Baum hatte solche Überlegungen an den Anfang ihrer Recherchen für die von ihr kuratierten Ausstellung gestellt. Und sie kann nun anhand ausgewählter Werke belegen, dass das Pferd auch in der zeitgenössischen Kunst „funktioniert“, wobei es freilich bevorzugt ohne Reiter bleibt, also gewissermaßen auf sich gestellt ist. Damit sind dem Pferd eigene Bedeutungsebenen eigen, es bleibt kreatürlich oder wird zum Stellvertreter für den Menschen, es tritt symbolisch oder zeichenhaft auf, mit Bezügen zur Urzeit und zur Mythologie.
Die Ausstellung „Ross ohne Reiter“ führt Werke – Skulpturen, Malereien, Zeichnungen – von dreizehn überwiegend deutschen Künstlern – zusammen. Auch wenn alle diese Beiträge Pferde zeigen, so fächern die Werke doch ein breites Spektrum auf. Das theoretische Gerüst ist schnell vergessen in dem überaus sinnlichen Parcours, der in seinen besten Momenten fast spielerisch den Wechselausstellungsbereich im Kunstmuseum besetzt. Zum Gelingen trägt bei, dass hier nicht nur lebensgroße Werke und umfassende Ensembles zu sehen sind, sondern auch kleinformatige Zeichnungen von Sonja Alhäuser und Angelika Freitag.
Mit Emil Schumacher, der mit seinen zeichenhaft expressiven Abstraktionen des Pferdes als eine Art „Übervater“ vorgestellt wird, dem ebenso international renommierten Malern Christa Näher, Norbert Tadeusz sowie Johannes Brus als Bildhauer sind die hierzulande etablierten Vertreter zu diesem Sujet eingeladen. Auch weniger bekannte Künstler wie Julia Wilczewski, die gerade ihr Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie abgeschlossen hat, sind mit originellen, präzisen Skulpturen beteiligt. Das vergleichende Sehen erschließt noch das jeweils Eigene: Die Ausstellung verdeutlicht, wo die Künstler mit ihrem Abstraktions- und Intensivierungs-Prozess ansetzen, inwieweit sie sich auf Vorbilder beziehen und mit der physischen Konstitution des Pferdes arbeiten oder diese gerade kontrolliert konterkarieren. Inwieweit sie dem Menschen dienen (Jürgen Wolf) oder sich in leiblicher Schönheit von jeder Zeitgebundenheit lösen, bei Christa Näher etwa. Von Norbert Tadeusz sind Bilder von Rennpferden zu sehen, welche seine lebenslange malerische Auseinandersetzung mit der Kreatürlichkeit zwischen Leben und Tod fortführen. Andreas von Weizsäcker dekonstruiert in seiner achtteiligen, blau pigmentierten Papierabformung „Läufer schlägt Springer“ das klassische Reiterstandbild mit seinen gesellschaftlichen Hierarchien. Hans van Meeuwen lässt eine naturalistische, monströse Schnauze aus der Wand wachsen. In Angelika Freitags lichtdurchfluteter Plastik reckt ein Pferd seinen Hals über das natürliche Maß hinaus und wird zum Stellvertreter für die psychische Verfasstheit des Menschen. Sonja Alhäusers skizzenhafte Zeichnungen zeigen Pferdchen im Mittelgrund, die wie gegossene Süßigkeiten in Sahne und Schokolade versinken – tatsächlich wurde sie mit solchen Objekten bekannt. Schade nur, dass sie nicht auch mit einem ihrer (lebensgroßen) Schokoladen-Pferde (oder den Fragmenten eines solchen) vertreten ist. Dafür wird die Ausstellung von einer Katalog-Dokumentation begleitet, die vorbildlich für künftige Publikationen des Solinger Museums sein sollte.
„Ross ohne Reiter“ | bis 9.11. | Kunstmuseum Solingen | 0212 25 81 40
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